Brauchen wir strengere Quecksilber-Grenzwerte nach USA-Vorbild?

In der Diskussion um den Kohleausstieg tragen Befürworter einen weiteren Aspekt in die Debatte: die Höhe der Quecksilber-Grenzwerte.

Quecksilber

Laut eines Gutachtens des Hamburger Instituts für Ökologie und Politik gehen 70 Prozent des Quecksilberausstoßes in Deutschland auf Kohlekraftwerke zurück. Grünen-Politiker fordern die Bundesregierung auf, endlich ähnlich strenge Emissionswerte wie in den USA einzuführen.

Pro

Schluss mit Kohlestrom. Die Bundesregierung muss endlich handeln und die gesundheitlichen Folgen der Quecksilber‑Emissionen ernst nehmen.

Oliver Krischer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen

Die Verstromung von Kohle ist nicht nur die klimaschädlichste Form der Stromerzeugung, sondern durch den Ausstoß etlicher Schadstoffe auch gesundheitsgefährdend. Durchschnittlich sieben Tonnen des hochgiftigen Quecksilbers stoßen deutsche Kohlekraftwerke jährlich aus. Das Gift lagert sich vor allem in Gewässern ab. Schon heute werden regelmäßig lebensmittelrechtliche Grenzwerte in Schwertfisch, Thunfisch, Aal und anderen großen, älteren Fischen überschritten. Über die Nahrungskette gelangt es auch in den menschlichen Organismus. Wissenschaftliche Studien belegen: Quecksilber führt bei Ungeborenen und Kleinkindern zu Schäden bei der Gehirnausbildung und bewirkt verminderte Intelligenz. Auch bei Erwachsenen führt es zu Nervenschäden und verändert das Erbgut. Zudem besteht der Verdacht, dass es krebserzeugend wirkt. Die USA haben wegen der Gesundheitsrisiken von Quecksilber strengere Grenzwerte für Kohlekraftwerke erlassen. Doch weder die schwarz-rote Bundesregierung noch die Kraftwerksbetreiber scheinen bereit zu sein, einen vergleichbaren Schutz vor der hochgiftigen Substanz in Deutschland schaffen zu wollen. Immerhin: Ab 2019 sollen wenigstens etwas strengere Quecksilber-Grenzwerte in der gesamten EU gelten. Diese werden aber immer noch 2,5- bis 6,7-fach höher sein als in den USA. Dabei gibt es schon heute Techniken für die Reduzierung von bis zu 85 Prozent des Quecksilber‑Ausstoßes, wie eine Studie von Ökopol im Auftrag der Grünen‑Bundestagsfraktion belegt. Doch aus Kostengründen wird darauf verzichtet. Es ist unverständlich, weshalb die USA – wahrlich kein Hort des Klimaschutzes – strengere Grenzwerte als der vermeintliche Umweltschutz-Vorreiter Deutschland hat. Die Studie zeigt zudem auf, dass bei Anwendung der US-Grenzwerte fast alle der 53 meldepflichtigen Kohlekraftwerke in Deutschland nicht am Netz bleiben könnten. Die Bundesregierung muss hier endlich handeln: Union und SPD dürfen die gesundheitlichen Folgen der massiven Quecksilber‑Emissionen nicht länger zugunsten der Kohleverstromung ignorieren. Neben dem Klimaschutz sind Gesundheitskosten durch Quecksilber‑Emissionen weitere Argumente, weshalb Deutschland noch stärker auf Erneuerbare Energien und Energieeffizienz setzen muss. Auch deshalb brauchen wir einen sozialverträglichen Kohleausstieg in den kommenden zwei Jahrzehnten. Denn nach der Klimakonferenz von Paris ist klar: Klimaschutz ist ohne Kohleausstieg nicht zu haben.

Contra

Deutschlands Kohlekraftwerke gehören bereits heute zu den besten der Welt. Und Alleingänge bringen nichts.

Prof. Dr.-Ing. Alfons Kather, TU Hamburg, Institut für Energietechnik

Die menschliche Gesundheit ist nicht unmittelbar durch die Quecksilber‑Gehalte in der Luft, sondern durch die Quecksilber‑Anreicherung in der globalen Nahrungskette gefährdet. Quecksilber‑Emissionen sind somit kein lokales, sondern ein globales Problem, dem wir als Weltgemeinschaft unbedingt entgegentreten müssen. In deutschen Kraftwerken wird aufgrund der umfangreichen Rauchgasreinigung bereits seit Jahrzehnten mehr als die Hälfte des Quecksilbers in Staubfiltern und Rauchgasentschwefelungsanlagen abgetrennt. US-Kraftwerke dagegen hatten bis vor Kurzem deutlich höhere Quecksilber‑Emissionen als deutsche Kraftwerke. Daher haben die USA vor etwa vier Jahren die heutigen Grenzwerte festgelegt. Deutsche Kohlekraftwerke sind dadurch von ihrer führenden Position hinter die USA zurückgefallen, zählen aber immer noch mit zu den besten der Welt. Bei richtiger Umrechnung der US-amerikanischen Grenzwerte erfüllen viele deutsche Kohlekraftwerke diese bereits. Die Aussage der Ökopol-Studie vom 21. Dezember 2015, dass kein deutsches Kohlekraftwerk die US-Grenzwerte einhalte, ist falsch – dies erkläre ich in einer Stellungnahme zur Ökopol-Studie auf der Internetseite meines Instituts. Die Ökopol-Studie besagt, dass man 85 Prozent der Quecksilber‑Emissionen aus deutschen Kohlekraftwerken abtrennen könne. Dabei wird jedoch ein willkürlich ermittelter Grenzwert vorausgesetzt, der für Braunkohlekraftwerke weniger als 20 Prozent des US-Grenzwertes beträgt. Um solch einen Grenzwert einzuhalten, müsste zum Beispiel bei einem Kraftwerk ein Quecksilber‑Abscheidegrad von über 98 Prozent erreicht werden, was mit immensen Kosten und Stillstandszeiten verbunden wäre. Solch überzogene Forderungen zielen daher eher auf ein Abstellen der Kohlekraftwerke ab. Offensichtlich ist den Kohlekraftwerksgegnern nicht bewusst, dass sie damit den weiteren Ausbau der fluktuierenden regenerativen Stromerzeugung aus Wind und Sonne verhindern. Solange wir über keine Stromspeichertechnologien verfügen, sind die Kohlekraftwerke zur Residuallastabdeckung zwingend erforderlich. Da es sich bei den Quecksilber‑Emissionen um ein globales Problem handelt, sollte Deutschland sich bei der weiteren Absenkung der Grenzwerte nicht so sehr an den USA, sondern an der Vorgabe der EU orientieren. Alleingänge mit niedrigeren Quecksilber-Grenzwerten würden global gesehen nur eine sehr geringe Wirkung zeigen, die deutsche Volkswirtschaft aber nachhaltig negativ beeinflussen.

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