Der nächste Lithium-Ionen-Akku ist
immer nur einen Handgriff weit
entfernt: Kein Smartphone kommt heute
ohne jenen leistungsfähigen, kompakten und flexiblen Stromspeicher aus. Doch neben den nur wenige Kubikzentimeter großen Handyakkus lassen sich Lithium-Ionen-Batterien durch Parallel- und Serienschaltung von Zellen
in nahezu jeder gewünschten Baugröße und
Kapazität herstellen. Vor allem Elon Musk baut im großen Stil auf diese
Technologie: Nicht nur der Tesla
fährt mit Lithium-Ionen-Strom, Musk
installierte Ende des vergangenen
Jahres in Australien die derzeit weltgrößte Lithium-Ionen-Batterie. Seine in
nur 63 Tagen erbaute 100-Megawatt-Einheit ist an einen Windpark
angeschlossen und soll im Falle eines Stromausfalls 30.000 Haushalte bis zu eine Stunde lang mit Strom versorgen können. Auch das ist nur Vorgeplänkel: Tesla baut seit 2014 mit der Panasonic Corporation an der „Gigafactory 1“, einer Fabrik für
Lithium-Ionen-Zellen und Batteriepakete, die ab 2018 etwa
500.000 Elektroautos jährlich mit bezahlbaren Stromspeichern versorgen will. Diese Fabrik soll die aktuellen Kosten für Lithium-Batterien um 30 Prozent senken. Ziel ist es, jährlich Zellen mit
35 Gigawattstunden Gesamtkapazität herstellen zu können. Das wäre mehr als
die gesamte weltweite Produktion im
Jahr 2013.
Gesucht: der ungefährliche, umweltfreundliche Akku
Solcherlei Pläne werden von Wissenschaftlern und Ökonomen mit einer
gewissen Skepsis betrachtet
– vor allem wegen der stetig steigenden
Nachfrage nach dem Kathodenmaterial
Kobalt. Dr. Peter Fischer vom Fraunhofer-Institut
für Chemische Technologie (ICT) in
Pfinztal forscht an alternativen Batteriekonzepten
und sieht eine Fixierung auf Kobalt
kritisch: „Das Material ist erstens weltweit
nicht unbegrenzt verfügbar, außerdem
wird es teilweise unter menschenunwürdigen
Bedingungen und erheblichen Umweltbelastungen
abgebaut. Und noch dazu in weit
entfernten Ländern mit teilweise instabiler
politischer Lage.“ So kamen im Jahr 2017 gut 58 Prozent, also deutlich
mehr als die Hälfte des Rohstoffs,
aus der Demokratischen Republik
Kongo, danach folgen Russland, Australien
und Kanada.
Auch technisch sei die Lithium-Ionen-Batterie trotz ihrer guten Performance nicht für alle Anwendungen der Zukunft die ideale Lösung: „Erstens ist ihre
Zyklenzahl begrenzt, zweitens können Lithium-Batterien bei falscher Handhabung brennen und im schlimmsten Fall sogar zu Explosionen führen. Man hat die Gefahren heute zwar
insgesamt ganz gut im Griff – es handelt
sich dabei aber nicht per se um eine ungefährliche
Technologie“, so Fischer. Die Brand- beziehungsweise Explosionsgefahr ist ein systemimmanenter Nachteil des verwendeten
Elektrolyts, der aus einer brennbaren
Flüssigkeit besteht, und des Lithiums, denn
es ist in der Lage, sogenannte
Dendriten zu bilden – sich
tropfsteinartig ausbreitende Metallabscheidungen. Durch
elektrochemische Vorgänge können auf
den Elektroden von Lithium-Akkumulatoren solche Dendriten wachsen. Das geschieht vor allem, wenn ein solcher Akku zu schnell oder bei niedriger Temperatur geladen wird. Wenn es den Dendriten gelingt, den Separator zwischen
den Elektroden zu durchdringen, kann
dies zum Kurzschluss in der Zelle führen.
Peter Fischer nennt aber
auch weitere Bedarfe für alternative
Batterietechnologien, insbesondere
wenn es um stationäre Speicher geht: Hier seien zum einen möglichst niedrige Herstellungskosten
und zum anderen eine möglichst
unendliche Lebensdauer gefragt – beides
nicht gerade die Königsdisziplinen des
Lithium-Ionen-Akkus. Es gibt also Gründe genug, nach Alternativen zu
forschen. Derzeit konzentriert
sich die Forschung primär auf zwei Zweige:
zum einen auf das Grundprinzip des klassischen Akkumulators, bei dem jedoch statt Lithium andere Ionenquellen wie Natrium
oder Magnesium eingesetzt werden, zum
anderen auf die Redox-Flow-Batterie.
Die Mischung macht’s
Das Ulmer Helmholtz-Institut (HIU) gehört hierzulande zu den ersten
Adressen, wenn es um Alternativen zum Lithium-Ionen-Akku geht. Die Wissenschaftler dieses
Batterieforschungszentrums testen Batteriezellen mit unterschiedlichen Materialkombinationen und bestimmen deren
Energiedichte, Leistung und
Lebensdauer. Man möchte herausfinden, wie Elementarprozesse das Funktionieren von elektrochemischen Energiespeichern beeinflussen. Außerdem sollen elektrochemische Effekte durch die Verbindung von experimentellen
Messungen mit Simulationen nachvollzogen
werden, um Schlussfolgerungen für Anwendungen
in der Praxis zu ziehen. Vielversprechende
Ersatzkandidaten für Lithium sind laut Prof. Dr. Maximilian Fichtner vom HIU die Metalle Magnesium, Natrium und Aluminium – allesamt Materialien, die zwar derzeit noch nicht die Energiedichte eines Lithium-Ionen-Akkus erreichen, dafür aber in praktisch unbegrenzter Menge verfügbar
sind. Doch auch der Lithium-Ionen-Akku kann noch verbessert werden: So hat die
interdisziplinäre Forschungsgruppe um Fichtner
gemeinsam mit Prof. Dr. Mario Ruben
vom Institut für Nanotechnologie des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) im Spätsommer 2017 ein neues Speichermaterial vorgestellt, dass die sehr schnelle und reversible Einlagerung
von Lithium-Ionen erlaubt. Dazu wurde
ein organisches Molekül mit funktionellen
Gruppen versehen, die beim ersten Beladungsvorgang
in der Batteriezelle eine strukturelle
und elektrisch leitende Vernetzung des
Materials herbeiführen. Das stabilisiert die
Struktur der Elektrode in hohem Maße und
macht mehrere Tausend Lade- und Entladezyklen
möglich. „Diese Speichereigenschaften sind außergewöhnlich, weil das Material
eine Speicherkapazität wie ein Batteriematerial besitzt – aber so schnell
arbeitet wie ein Superkondensator“,
so Fichtner.
Alles im Flow?
Ein gänzlich anderes Prinzip wirkt in der Redox-Flow-Batterie. Sie
speichert Energie in flüssigen chemischen Verbindungen. Notwendig für den Betrieb einer
solchen Batterie sind zwei energiespeichernde Elektrolyte. Sie zirkulieren über Pumpen in
getrennten Kreisläufen und werden dann in einer sogenannten galvanischen Zelle an Elektroden
herangeführt: Dort
findet die elektrochemische Reaktion statt.
Eine Membran, die selektiv Ionen passieren lässt, verhindert ein Durchmischen der beiden Elektrolyte in der Zelle, erlaubt es
aber, dass Ladungen fließen können. Sobald ein elektrischer Verbraucher an die beiden Batteriepole angeschlossen wird, findet in der Zelle eine elektrochemische Reaktion statt und
die Elektrolytlösung wird entladen. Wird hingegen an den Polen eine Spannungsquelle angebracht,
läuft die elektrochemische Reaktion in umgekehrter Richtung ab und die Elektrolytlösung wird neu aufgeladen. Ein zentraler
Vorteil der Redox-Flow-Technik ist laut Dr. Peter Fischer vom Fraunhofer ICT die Langlebigkeit: „Theoretisch ist dieser Batterietyp unsterblich. Die
Elektroden verändern sich – anders als beim Lithium-Ionen-Akku – während
der elektrochemischen Reaktion nicht.“ Im
Rahmen des Projekts „RedoxWind“ wird am Fraunhofer-Institut derzeit ein
Redox-Flow-Großbatteriespeicher
entwickelt, der direkt an den
Gleichstromzwischenkreis einer
Windenergieanlage gekoppelt wird. Das Projekt
soll zeigen, ob es möglich ist, Dörfer,
Kleinstädte oder Unternehmen auch ohne
Anschluss an große Energienetze sicher
mit Strom zu versorgen, indem sie
eigenständig Energie produzieren und in eigenen Großbatterien speichern.
Salzwasser statt Schwefelsäure
Intensiv geforscht wird auch an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Sie
hat gemeinsam mit dem Zentrum für Energie und Umweltchemie (CEEC Jena) und der
Jena-Batteries GmbH – einer Ausgründung der Uni Jena – eine Redox-Flow-Batterie auf Basis von Polymeren und einer
Kochsalzlösung entwickelt. Dr. Martin Hager von der Universität Jena: „Das Neuartige an unserem
Batteriesystem ist, dass es deutlich günstiger hergestellt werden kann, aber dennoch
fast die Kapazität und Leistung herkömmlicher metall- und säurehaltiger Systeme erreicht.“ Bisherige Systeme verwendeten als Elektrolyte meist in
mittelkonzentrierter Schwefelsäure
gelöste Vanadium-Ionen, was nicht nur
teuer sei, sondern aufgrund der hochkorrosiven Lösung zu einer begrenzten Lebensdauer der
Batterie führe, so Hager. Aus diesem Grund verwendet die Redox-Flow-Batterie der Jenaer Forscher Polymere, besondere Kunststoffe, die in einer wässrigen Kochsalzlösung schwimmen.
Die Jenaer arbeiten mit dem Oldenburger Energieversorger EWE bei der Umsetzung eines Pilotprojekts zusammen:
EWE möchte eine Redox-Flow-Batterie
(Arbeitstitel: „Brine4power“) in einem Kavernenspeicher errichten. Für diese nach eigenen Angaben weltgrößte Batterie sollen zwei Kavernen mit je 100.000 Kubikmetern Volumen verwendet werden. Sie werden mit Wasser in Salzstöcken geflutet, wodurch die benötigte Sole
praktischerweise gleich vor Ort als Nebenprodukt mit entsteht. Das System soll einmal eine Leistung von 120 Megawatt erreichen und bis zu 700 Megawattstunden speichern können. Die
Effizienz bei der Strom-Rückgewinnung soll bei 70 Prozent liegen. Die
prognostizierten 20.000 Ladezyklen
würden selbst bei täglicher
Vollentladung der Batterie zu einer Lebensdauer
von weit mehr als 50 Jahren führen.
Erst überirdisch, dann unterirdisch
Das Projekt hat bereits die Laborphase verlassen, bis
Ende des Jahres soll zunächst ein oberirdischer Prototyp mit
einer Leistung von 10 Kilowatt in Betrieb genommen werden. Weitere
Prototypen folgen in den nächsten Jahren. André Fisse, Team- und Projektleiter
bei der EWE Gasspeicher GmbH, berichtet: „Im November 2017 haben wir den
ersten wichtigen Teilerfolg erzielen können. Wir konnten nachweisen, dass wir mit unserer Originalsole die erforderlichen benötigten elektrochemischen und Fließeigenschaften für die Elektrolytlösung sicherstellen können. Die
Redox-Flow-Batterie kann in Bezug
auf Leistung und Kapazität fast unbegrenzt skaliert werden – diese werden
letztlich vor allem durch die
schiere Größe der Speicher und die umgewälzte Elektrolytmenge definiert. Die
Polymere lassen sich recyclen, alle benötigten Komponenten können ressourcenschonend beschafft werden.“
Wenn die Prototypen – der erste hat ungefähr die Größe eines Schiffscontainers – erfolgreich laufen, will man bei
EWE an einem der Standorte, voraussichtlich im ostfriesischen Jemgum, die Vollausbaustufe einläuten und zwei
unterirdische Gaskavernen zur Megabatterie
umbauen. André Fisse: „In Jemgum läuft auch eine 110-KV-Trasse entlang,
die Offshore-Windstrom in Richtung Emsland transportiert – das wäre eine
ideale Möglichkeit, diesen Speicher direkt für Erneuerbare Energie einzusetzen.“
Bis es so weit ist, werden noch einige Jahre ins Land gehen: Bei EWE rechnet
man damit, Ende 2023 oder Anfang 2024 eine lauffähige Kavernenbatterie ans Netz anschließen zu können. Einstweilen bleibt also abzuwarten, welche
Relevanz der Lithium-Ionen-Akku bis dahin noch haben wird.
Text: Jochen Reinecke