21 Prozent weniger klimaschädliche Gase – dieser Ruf aus Kyoto war 1997 der Flügelschlag eines Schmetterlings, der auf der Insel Samsø sprichwörtlich einen Tornado ausgelöst hat. Denn in diesem weltweit ersten völkerrechtlich verbindlichen Vertrag zur Eindämmung des Klimawandels stand nun eine Zahl, die es zu erreichen galt. Im gleichen Jahr schrieb das dänische Energieministerium dazu einen Wettbewerb aus, die Gewinnerregion sollte zum Testfeld werden: Kann regenerative Energie den Weg zum Ziel ebnen? Samsø gewann. Dass auf der Insel, die östlich der Küste Jütlands im Kattegat liegt, dann tatsächlich etwas passierte, ist Søren Hermansen zu verdanken. Einer Landwirtsfamilie entstammend studierte er in Aarhus Umweltwissenschaften. Bei selbstgepresstem Apfelsaft führte er auf seiner Insel lange Gespräche an Küchentischen – und überzeugte manchen Insulaner, in Windräder zu investieren. Heute produzieren elf Turbinen an Land zusammen mit einem Offshore-Windpark den Energiebedarf der Insel. „Als der Offshore-Windpark gebaut wurde, war er der größte der Welt“, sagt Hermansen stolz. Er liefert viermal so viel Energie, wie auf der Insel pro Jahr gebraucht wird. Neben Windenergie nutzen die Insulaner auch Biomasse aus der lokalen Landwirtschaft für die Wärmeversorgung – und Solaranlagen. Seit zehn Jahre schon ist Hermansen Direktor der „Energie-Akademie“ – einem Wissenszentrum auf Samsø, das jährlich mehr als 4.000 Politiker, Journalisten und Schüler aus aller Welt besuchen. Privater Windstrom, der beim Produzenten übrigbleibt, wird an den Versorger verkauft und teils aufs Festland exportiert. Ein lukratives Geschäft für die Samsinger, die ihre Energiegeschichte mit Begeisterung weiterschreiben: Heute gibt es privaten Verein zur Förderung der Elektromobilität auf Samsø. Der Rasen auf dem Golfplatz wird von Schafen gestutzt. Fossile Brennstoffe sollen auf der Insel 2030 Geschichte sein.
Skandinavisches Importgut: Solarstrom
Der Rest Dänemarks geht dieses Ziel langsamer an: Bis 2050 will man von fossilen Energieträgern unabhängig sein. Dennoch gilt das Land weltweit als Treiber der Energiewende. Schon 2015 lag der Anteil der Erneuerbaren an der dänischen Stromversorgung bei 56 insgesamt Prozent – knapp 42 Prozent entfielen dabei auf Windkraft. Dass Dänemark anderen zeigt, woher der Wind weht, ist nicht neu. Relativ neu ist aber, dass der nördliche Nachbar Deutschland auch im Feld Photovoltaik in den Schatten stellt.
Der
Reihe nach: Im Bereich Solarenergie verfolgt die Bundesregierung das Ziel, den
Solarzubau auf jährlich 2.500 Megawatt zu begrenzen. Von diesen 2.500 Megawatt
sollen nur noch 600 Megawatt durch große Freiflächenanlagen und Solarparks
bereitgestellt werden. Um den
Bundesbürgern Solarstrom zu möglichst niedrigen Preisen anbieten zu können,
veranstaltete die Bundesnetzagentur vergangenes Jahr erstmals eine grenzüberschreitende
Ausschreibung für Energie aus Photovoltaik. Es ging um 50 Megawatt Leistung aus Freiflächenanlagen. Alle Zuschläge gingen
nach Dänemark. Den niedrigsten Preis hat European Energy geboten, ein dänischer Investor aus Soborg
bei Kopenhagen. Sein Gebot, zu dem er Solarstrom erzeugen und nach Deutschland
liefern will: 5,38 Cent pro Kilowattstunde. Das Höchstgebot lag bei zehn Cent. Deutsche
Anbieter blieben chancenlos; die Rede war von „Blamage“ und „Schmach“. Kaum
verwundert es, dass bei einer zeitgleich stattfindenden dänischen
Ausschreibung, die erstmals für deutsche Beteiligung offen war, ebenfalls ein
heimisches Unternehmen triumphierte: Better Energy sicherte sich die Zuschläge
für insgesamt neun Photovoltaikkraftwerke mit jeweils 2,4 Megawatt Größe zum
Erzeugerpreis von nur 4,42 Cent pro Kilowattstunde.
„Der Auktionspreis ist disruptiv und beweist, dass Photovoltaik es nun mit jeder anderen Energiequelle aufnehmen kann, wenn man Kosten pro Energieeinheit vergleicht“, erklärte Rasmus Kjaer, Managing Partner des Unternehmens.
Verzerrter Wettbewerb?
Zwar ist Dänemark ein beliebtes Urlaubsziel. Als solches scheint der nördliche Nachbar jedoch vor allem für helle Hauttypen geeignet. Insgesamt kommt das Land im Schnitt auf 1.495 Sonnenstunden pro Jahr. Gegenüber vergleichsweise sonnenreichen dänischen Orten – dem Kattegat und der Insel Bornholm, wo die Sonne gewöhnlich zwischen 1.600 und 1.650 Stunden jährlich scheint – lag Brandenburg 2016 mit 1.735 Stunden klar vorn. Auch der Bundesdurchschnitt kündet mit 1.585 Stunden von sonnigeren Zeiten, als die dänischen Nachbarn sie durchlebten. Gebaut werden Photovoltaikanlagen in Dänemark nicht nur auf Dächer, stillgelegte Industrie- und Militärgeländen oder in unmittelbarer Nähe zu Autobahnen und Schienenwegen. Dänische Solar-Paneele stehen auch auf Ackerflächen, die in Deutschland für Photovoltaik seit Jahren tabu und unterm Strich offensichtlich günstiger sind als hierzulande nutzbare Flächen: In einem Hintergrundpapier macht die Bundesnetzagentur „spezifische Standortvorteile in Dänemark“ für den Erfolg verantwortlich.
Fragt man die Ausschreibungs-Gewinner begründen diese ihr gutes
Abschneiden anders. Man sei entlang der gesamten Wertschöpfungskette tätig, sagt
etwa Rasmus Kjær von Better Energy – angefangen bei Landkauf- und -leasing über
Projektentwicklung, Aufgaben des Planens, Beschaffens und Aufbauens sowie der
Finanzierung bis zum langfristigem Management der Anlagen. „In Deutschland stellen
wir dagegen oft fest, dass eine Person mit dem Land Profit machen will, eine
andere mit dem Bau der Anlage, und dann wieder eine andere als langfristiger
Eigentümer. Unser Geschäftsmodell senkt für ins indes die Gesamtkosten.“ Und CEO Knud-Erik Andersen vom Unternehmen European
Energy nennt gegenüber manager-magazin.de „Skaleneffekte, unsere
Erfahrung mit großen Projekten und die sinkenden Kosten für
Photovoltaik-Technik“ als Hauptgründe für den niedrigen Preis.
Das weltgrößte Rotorblatt (Länge: 88,4 Meter), hergestellt für ein Acht-Megawatt-Windrad der Firma Adwen, beim Transport in Dänemark
70 Prozent Steuern und Abgaben auf Strom
Es geht
jedoch nicht nur um Geschäftsmodelle und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.
Das sieht man am Ergebnis der letzten nationalen Ausschreibung für
Freiflächenanlagen in Deutschland: Wie die Bundesnetzagentur betont, erreichte
der durchschnittliche Zuschlagspreis dabei 7,25 Cent. Das sind fast zwei Cent
mehr als die 5,38 Cent der ersten europäischen Ausschreibung. In Dänemark
spielt der Staat im Strommarkt eine tragende Rolle. Während die Steuern
für die Wirtschaft niedriger sind, sind sie für Haushaltskunden so hoch wie
nirgends in Europa. An die 70 Prozent des Strompreises zahlten sie im ersten Halbjahr
2016 auf Steuern und Abgaben, in Deutschland waren es 54. Mit 30,9 Cent pro
Kilowattstunde hatte Dänemark daher den teuersten Strom in der EU, gefolgt von
Deutschland mit 29,7 Cent.
Vorzeigeprojekt: Die Energieakademie auf Samsø
Grüner Realismus in Kopenhagen
Doch auch in Kopenhagen stehen nicht alle Zeichen auf grün. Mit der konservativ-liberalen Venstre-Regierung hält seit 2015 der „Grüne Realismus“ Einzug. Der Wind für Anbieter Erneuerbarer Energien wird rauer. Venstre nimmt von den Klimaschutzzielen der Vorgänger Abstand: etwa von Steuererleichterungen für Elektroautos und von einer 60/40-Solarförderung, die im Mai 2016 mit sofortiger Wirkung fiel. Bis dahin erhielten die Photovoltaik-Anlagenbetreiber für ihren Solarstrom einen festen Strompreis von 60 dänischen Öre pro Kilowattstunde (rund acht Cent) für die ersten zehn Jahre sowie 40 Öre (etwa fünf Cent) für weitere zehn Jahre. Auch die „PSO“ (Public Service Obligation) – das dänische Äquivalent zur Ökostromumlage – wird bis 2022 nach und nach weichen. Gefördert wurden damit bislang über die Stromverbraucher vor allem Wind- und Solarkraftanlagen. Die Abgabe spült umgerechnet rund eine Milliarde Euro jährlich in die Staatskasse. Kritisiert hatte die Vergütung die EU-Kommission: Ausländische Energieproduzenten könnten im Gegensatz zu dänischen keine der Prämien für Strom aus erneuerbaren Quellen erhalten, was gegen EU-Recht verstößt. Profitieren sollen vom Wegfall nun vor allem industrielle Stromkunden – die ohnehin bereits eine geringere Abgabe zahlen. Auch beim CO2-Ausstoß kommt die Regierung der Wirtschaft entgegen: Das Ziel von 40 Prozent weniger bis 2020 hält er für zu ambitioniert; auch 37 Prozent erscheinen Energieminister Lars Christian Lilleholt von der Venstre-Partei akzeptabel.
Wie reagieren die Anbieter erneuerbarer Energien? In der dänischen Vattenfall-Niederlassung kursierte zunächst Unsicherheit, ob bereits geplante Nearshore-Projekte überhaupt realisiert werden könnten, wenn die PSO fiele. Dann gewann das Unternehmen im November – mit im Windkraftbereich nicht gesehenen 4,99 Cent pro Kilowattstunde – eine Ausschreibung für den mit 600 Megawatt bislang größten Offshore-Windpark Dänemarks, „Kriegers Flak“. Die Regierung einigte sich derweil auf einen Kompromiss: Indem die Abgabe nun schrittweise verschwindet, soll die Energiewende weitergehen und die Belastung für Haushalte und Unternehmen zugleich verringert werden. Vattenfall hält an seinen geplanten Projekten fest.
Am 19. Dezember 2016 beschloss das dänische Parlament endgültig die Abschaffung der PSO. Nach diesem Beschluss soll die Finanzierung erneuerbarer Energien in Dänemark künftig über die Einkommenssteuer gelingen. „Unser Ziel ist, dass Energie aus regenerativen Quellen ohne staatliche Hilfe im Markt bestehen kann“, sagt Lars Christian Lilleholt. „Aber noch sind wir nicht am Ziel.“ Derzeit arbeite man in Dänemark daran, das Vergütungsmodell für entsprechende Technologien zu vereinheitlichen und suche zugleich nach Wegen, den Übergang von staatlichen Hilfen in den Wettbewerb zu schaffen. „Eine Möglichkeit wäre, die verschiedenen Technologien in Ausschreibungen gegeneinander antreten zu lassen.“
Lilleholt gibt sich zuversichtlich, dass das Ziel erreicht wird: Die Anbieter erneuerbarer Energien seien schon „in wenigen Jahren“ bereit, ohne staatliche Unterstützung auszukommen, sagte er im April – mit dem Tempo dieser Entwicklung habe er selbst noch im vergangenen Jahr nicht gerechnet. Ein Anhaltspunkt für die wachsende Wettbewerbsfähigkeit ist der drastische Preisabfall in der Offshore-Windenergie, der bereits in den Niederlanden und in Dänemark spürbar wurde. Das jüngste Beispiel dafür führt nach Deutschland.
Gebotswert: null Cent pro Kilowattstunde
Bei der ersten Ausschreibung für Offshore-Windparks sorgte neben dem EnBW auch das Unternehmen DONG Energy für Furore. In den kommenden Jahren planen die beiden Unternehmen in der Nordsee insgesamt vier Offshore-Parks mit insgesamt 1.490 Megawatt Leistung. Für drei davon wollen sie auf staatliche Förderung verzichten. Gebotswert: null Cent pro Kilowattstunde. EnBW sicherte sich den Netzanschluss für den größten der Windparks, „He Dreiht“, mit 900 Megawatt Leistung. Bauen wollen ihn die Baden-Württemberger bis 2025. Bei dem Gebot mit dem höchsten Wert, das in dieser Ausschreibung einen Zuschlag bekam, setzte DONG auf eine Förderung von sechs Cent. „Mit 0,44 Cent pro Kilowattstunde liegt der durchschnittliche gewichtete Zuschlagswert weit unterhalb der Erwartungen“, kommentierte Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur, das überraschende Ergebnis Mitte April in einer Pressemitteilung. Zum Vergleich: Die aktuelle Förderung für Offshore-Strom beträgt 18,4 Cent, allerdings nur über acht Jahre, während die neuen Projekte über 20 Jahre gefördert werden. Homann nannte die bewiesene Wettbewerbsfähigkeit der Offshore-Energie „erfreulich für alle Stromverbraucher, die über die EEG-Umlage die Förderung der Erneuerbaren Energien mitfinanzieren.“ Nicht nur in Deutschland diskutiert man, ob eine Ökostromförderung über die Umlage in der bestehenden Form weiterhin nötig ist. Kommt hier eine Zeitenwende ins Gang?
Zwar dämpfte die Bundesnetzagentur sogleich die Erwartungen; es sei „offen, ob sich so niedrige Zuschlagswerte in der nächsten Ausschreibung wiederholen werden“. Zeigen wird sich das im April 2018. Dr. Andreas Schröter, Geschäftsführer beim des Zertifizierter und Berater DNV GL, hat jedoch eine Erklärung: „Es gab keinen technologischen Quantensprung, der die Kostensenkungen auch nur annähernd begründen kann, sondern eine Evolution, sprich kontinuierliche Verbesserungen.“ Der Ingenieur, der für fast alle Offshore-Windparks und Turbinenhersteller tätig ist, sagt: „Lange Zeit wurde Bottom-up geplant. Man summierte die Kosten der einzelnen Gewerke, packte eine Gewinn-Marge drauf und fertig war der Preis. Heute legt der Projektentwickler stattdessen erst den Preis fest, zu dem er bauen möchte, und sucht sich die dazu passenden Zulieferer.“ Zugleich habe sich die Technologie soweit stabilisiert, dass Investoren heute mit moderaten Risikoaufschlägen respektive Renditen zufrieden seien als zuvor. „Offshore hat den Tipping-Point erreicht.“ Starke Zweifel an der Seriosität der Ergebnisse hat indes Hermann Albers, Präsident des Bundesverbands WindEnergie e. V. (BWE): „Sollten die hinter den Geboten stehenden Annahmen bis zum Bau der Projekte in den Jahren 2021 bis 2025 nicht belastbar sein, steht die Umsetzung in Frage. Dies würde energiewirtschaftliche Verwerfungen nach sich ziehen.“ Der BWE-Präsident wies weiter darauf hin, dass zwischen den Ergebnissen der Preisfeststellung und der Realisation der Projekte insgesamt fünf bis acht Jahre lägen. Zur Praxis der Ausschreibungen sagt er: „Insgesamt zeigt sich, dass das verlässliche Instrument des EEG gegen ein hoch spekulatives Instrument getauscht wird. Mittelständische und nicht durch staatliche Eigentümerstrukturen abgesicherte Unternehmen werden nicht so hoch spekulativ agieren können.“
Die Ausschreibungsgewinner
setzten bei ihren historisch niedrigen Geboten auf künftig weiter steigende
Strompreise, durch die sich ihre Investition refinanzieren soll – und auf die
weitere Technologieentwicklung in den Jahren, bevor der Park ans Netz geht.
„Unsere Planung fußt auf umfangreichen Marktanalysen und einem intensiven
Austausch mit der Zulieferindustrie, die an zahlreichen technologischen
Weiterentwicklungen arbeitet und die Kosteneffizienz absolut verinnerlicht
hat“, sagt Dirk Güsewell, zuständiger Leiter für den Ausbau des
Erzeugungsportfolios bei EnBW. Auch Martin Neubert, CSO und Mitglied der
Geschäftsführung bei DONG Energy in Deutschland, bekräftigt: „Wir haben ein
fundiertes Angebot auf Basis einer genauen betriebswirtschaftlichen Kalkulation
abgegeben.“ DONG betreibe seit 1991 Wind-Offshore-Projekte, beschäftige
dazu heute 2.000 Leute und sei in der Vergangenheit stets Erstanwender neuer
Windturbinen gewesen. „Deshalb war es auch keine Spekulation, dass wir davon
ausgehen, 2024 Windräder mit 13 bis 15 Megawatt Leistung einsetzen zu können.“ Sollten
sich die Projekte als zu waghalsig entpuppen, müssten DONG 59 Millionen Euro
Strafe zahlen. „Das ist kein Spielcasino-Geld, das wir leichtfertig auf den
Tisch gelegt haben."
Kampf gegen Windmühlen?
Obwohl deutsche Unternehmen den Wettbewerb bei der Windenergie also nicht scheuen müssen, hat Deutschland nach Neuberts Ansicht Aufholbedarf: Der Ausbau der Offshore-Windkraft laufe zu zaghaft. Die Industrie habe bewiesen, dass sie weit mehr als 2.000 Megawatt leisten kann, während man über eine Erweiterung von 700 bis 800 Megawatt pro Jahr diskutiere. „Wir hoffen, dass die Deckelung der Bundesregierung für den Ausbau von Offshore-Wind fällt. Wenn wir den Klimaschutzplan 2050 einhalten wollen, wäre es eine verpasste Chance, Wind auf See zu deckeln.“ Die Bundesregierung müsse daher das Ausbauziel von 15.000 Megawatt bis 2030 nach oben öffnen.
Text: Leonore Falk