Eine Zukunft ohne Elektromobilität ist für Energieversorger in Deutschland und Österreich nicht mehr vorstellbar: 95 Prozent von ihnen sehen sie nach einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung PwC als relevanten Trend mit wesentlichen Auswirkungen auf ihre Geschäftstätigkeit. Schon heute gehören die Versorgungsunternehmen zu den Spielmachern in diesem Feld. So werden mehr als drei Viertel der Ladepunkte in Deutschland – aktuell sind es laut BDEW rund 16.100 im gesamten Bundesgebiet – von Energieunternehmen betrieben. Auch wenn hohe Anfangsinvestitionskosten und mangelnde Auslastung noch immer viele Versorger abschrecken, schreitet der Ausbau dank ihnen voran.
Neue Märkte für Energieversorger
Die E-Mobilität bietet zahlreichen Unternehmen die Möglichkeit, neue Geschäftsfelder zu besetzen. Dies gelte, so Studienleiter Sebastian Freier von PwC, insbesondere für Energieversorger. Während in deren klassischen Geschäftsbereichen die Marktanteile bereits verteilt seien und die Margen eher zurückgingen, könnten die Energieversorger mit energienahen Elektromobilitätsdienstleistungen neue Potenziale erschließen.
Die Experten von PwC sehen die Versorger insbesondere beim Aufbau und Betrieb der Ladeinfrastruktur – Contracting inklusive Beschaffung und Abrechnung im privaten und halböffentlichen Bereich – in einer guten Position. Schließlich verfügten die Unternehmen nicht nur über das notwendige Know-how, es gebe derzeit auch noch relativ wenig Konkurrenz auf diesem Gebiet. Dementsprechend sei jetzt der ideale Zeitpunkt, sich aktiv mit dem Thema Elektromobilität auseinanderzusetzen, um die passende Nische für das eigene Unternehmen zu finden.
Sebastian Freier:
Wer an der E-Mobilität als Geschäft der Zukunft partizipieren möchte, der muss heute ausreichend interne wie externe Ressourcen zur Verfügung stellen und den Mut aufbringen, in neue Geschäftsmodelle zu investieren.
Die Chancen des Sektors hat die TEAG Thüringer Energie früh erkannt. Im Gewerbe- und im Privatkundensegment setzt der Energieversorger auf Rundum-Lösungen. "Bei Unternehmen besteht hohes Interesse an E-Mobilität, nur wenige wissen aber, wie man sie in den eigenen Fuhrpark integriert oder die Ladeinfrastruktur auf den Parkflächen baut", erklärt Thomas Menze, Geschäftsbereichsleiter Vertrieb bei der TEAG. "Hier kommen wir als Servicepartner ins Spiel."
Ein Stromanbieter für Mobilität und Immobilie
Nach einer Analyse des Fuhrparks und der Fahrleistungen ermitteln die Berater des Thüringer Energieversorgers für ihre Kunden, also Unternehmen und Gewerbetreibende, wie diese in ihrem Geschäftsalltag eine E-Car-Strategie umsetzen könnten. Im Anschluss gibt es auf Wunsch ein komplettes Paket, das vom Leasing der Elektroautos über den Aufbau der Ladeinfrastruktur vor Ort bis hin zu Wartung und Service von Ladepunkten und Autos sowie der Abrechnung der Dienstleistungen reicht.
Auch Privatkunden machen Menze und sein Team fit für die elektromobile Zukunft. Zu einem monatlichen Festpreis können sie ein Elektroauto, Strompakete für unterschiedliche Kilometerleistungen, eine Ladebox für zu Hause und eine Ladekarte für unterwegs erwerben. Ein E-Auto verbraucht bei jährlich 15.000 Kilometern Fahrleistung in etwa so viel Strom wie ein Einpersonenhaushalt. Für Thomas Menze ist gerade das Angebot für Privatpersonen zukunftsweisend: "Es ist wahrscheinlich, dass Kunden den Strom für ihr Auto und ihren Haushalt von ein und demselben Anbieter beziehen. Wer den E-Car-Kunden nicht gewinnen kann, verliert mit großer Wahrscheinlichkeit auch seinen Haushaltsstromkunden."
Um ihr Angebot attraktiv zu gestalten, setzen Energieversorger wie die TEAG auf Zusammenarbeit, zum Beispiel mit Autohändlern. Im stationären Autohandel fristen E-Autos oft noch immer ein stiefmütterliches Dasein. Ein Grund: Wie der Alltag mit ihnen gelingt, ist bis heute nicht ausgereift. Wenn es etwa darum geht, eine Ladebox im Haus zu installieren und zu diesem Zweck den Stromhausanschluss zu modifizieren, stößt der Autohandel an seine Grenzen. Hier liegen unter anderem große Chancen für Kooperationen zwischen Automobilherstellern und Energieversorgern, bestätigt Sebastian Freier von PwC.
Quelle: BDEW Markt- und Dienstleistungserhebung 2018
Auch bei der landesweiten Ladeinfrastruktur ist Zusammenarbeit gefragt. Gemeinsam mit 25 Thüringer Stadtwerken errichtet die TEAG ein flächendeckendes Netz mit einheitlichen Standards und gemeinsamer Abrechnung. Bis 2020 sollen so in Thüringen bis zu 400 Ladestationen entstehen. Und die Ladekarte, mit der die Autofahrer europaweit Strom kaufen können, ist an ein deutschlandweites Netzwerk angeschlossen.
Das Netzwerk mit dem Namen ladenetz.de ist eine Initiative der smartlab Innovationsgesellschaft mbH. Darin haben sich die Duisburger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft, erdgas schwaben, die Stadtwerke Düsseldorf, Stadtwerke Osnabrück, STAWAG und Thüga zusammengeschlossen, um ihre Ladeinfrastruktur vernetzen zu können. Über gemeinsame technische Schnittstellen tauschen die angeschlossenen Unternehmen die dafür relevanten Daten – die Authentifizierung, die verbrauchte Strom- und Zeitmenge sowie die Standorte der Stationen – miteinander aus.
Auf der Plattform bieten mittlerweile 170 deutsche Stadtwerke gemeinsam rund 2.200 Ladepunkte in Deutschland. Über Roaming-Abkommen mit nationalen und internationalen Ladeinfrastrukturanbietern kommen etwa 17.000 weitere Ladepunkte europaweit hinzu.
Hemmnisse für Mobilitätsdienstleistungen lägen, so smartlab-Geschäftsführer Dr. Mark Steffen Walcher, etwa in den langen Lieferzeiten der E-Autos, im Mietrecht, das die Errichtung von Wallboxen in Privathäusern erschwert, oder im Mess- und Eichrecht (siehe Infokasten). Die größte Herausforderung aber sieht Walcher woanders: "Vielen Mobilitätsdienstleistern fehlt einfach die Bereitschaft, mit bisherigen Konkurrenten und auch sektorübergreifend zusammenzuarbeiten." Eine nennenswerte Konkurrenz zur Automobilindustrie sieht man bei smartlab derzeit hingegen nicht. Walcher verweist vielmehr darauf, dass beispielsweise Kunden der Marken VW, Renault oder BMW seit Jahren mit ihren eigenen Karten Zugang zu ladenetz.de haben.
Schneller als die Realität Von gegenwärtig 16.100 öffentlichen und teilöffentlichen Ladepunkten im BDEW-Ladesäulenregister sind 12 Prozent sogenannte Schnelllader. Diese Säulen sind praktisch für E-Mobilisten – für Anbieter sind sie eine Herausforderung. Denn fürs Schnellladen besteht keine eichrechtskonforme Infrastruktur, seit das Mess- und Eichrecht 2015 geändert wurde. Bei der Lieferung von Elektrizität müssen seither alle Größen gemessen werden: Kilowattstunden eines Ladevorgangs ebenso wie die Zeit, die er kostet. Früher gängige Modelle wie die reine Zeitabrechnung sind mit den alten Säulen nicht mehr gedeckt. Für die DC-Ladesäulen, die im Gleichstrombereich das Schnellladen ermöglichen, existieren gegenwärtig keine geeichten Messgeräte. Erst für Ende des Jahres haben Hersteller eichrechtskonforme Technik in Aussicht gestellt. Bis April 2019 wollen die Eichbehörden der Länder keine Bußgelder verhängen – unter anderem unter der Bedingung, dass die Kilowattzahl jedes Ladevorgangs umgerechnet und damit um 20 Prozent reduziert wird. Der Preis dafür entgeht den Anbietern. Diese rechnen deshalb vorübergehend nur pro Ladung ab. Beispielsweise kostet sie acht Euro bei dem Netzwerk "Ionity", zu dem BMW, Daimler, Ford und der Volkswagen-Konzern gehören. Experten vermuten, es werde auf eine Kombination aus Kilowattstunden und Zeit hinauslaufen. Knackpunkt: Ab 2021 brauchen die Ladesäulen zusätzlich BSI-konforme Messsysteme. Eine technische Lösung dafür ist derzeit nicht in Sicht. Die daraus resultierende Unsicherheit dämpft die Umrüstungs- und Ausbaubereitschaft. |
Chancen durch Konvergenz der Infrastrukturen
"Um kundenfreundliche Lösungen kreieren zu können, ist die sektorübergreifende Zusammenarbeit unerlässlich", so Marcus Willand, Associated Partner New Mobility beim Beratungsunternehmen MHP. Die Porsche-Tochter, die Kunden mit dem Branchenwissen aus Mobilität und Fertigung in digitaler Prozessoptimierung berät, ist jüngst eine strategische Partnerschaft mit dem Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW eingegangen. "Durch die Bündelung unserer Kompetenzen und unseres Know-hows wollen wir die Mobilitäts- wie die Energiewende mitgestalten", bestätigt Dr. Dominique Gross, verantwortlicher Projektleiter bei TransnetBW.
Laut Willand lassen sich Mobilität und Energie in der Zukunft nicht mehr getrennt voneinander betrachten: "Durch die Elektrifizierung jeglicher Mobilität ergibt sich eine Konvergenz der Verkehrs-, Energie- und Digital-Infrastrukturen, die allen Beteiligten große Chancen bietet." Zukünftig würden Serviceleistungen nachgefragt, die Mobilität plus Energie plus mögliche weitere Dienste kombinieren. Auf digitalen Plattformen basierende, kundenorientierte Services könnten den etablierten Mobilitätsanbietern helfen, sich auch langfristig gegen digitale externe Anbieter wie zum Beispiel den Fahrdienstleister Uber durchzusetzen.
Was müssen die Energieversorger in Deutschland also leisten, um rund um Mobilitätsdienstleistungen ein lukratives Geschäftsfeld aufzubauen? Willand fasst zusammen: "Unternehmen müssen offen für Kooperationen sein, ihr Denken und Handeln von Sektorgrenzen lösen sowie dezentral organisierte, digitale Strukturen ausbauen und nutzen."
Text: Henning Bartels