Gefährdet der Klimaschutz die Energiewende?

Teil 2 des Streitgesprächs zwischen Olaf Tschimpke , Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (NABU), und Andreas Jung (CDU), Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Konstanz.

Energiewende und Naturschutz dürfen sich nicht ausschließen. Vor allem die steigende Anzahl an Windkraftanlagen sorgt für Akzeptanzprobleme. Über mögliche Lösungen:

Herr Jung, bei Ihnen in Konstanz gibt es keine Rotmilane, aber auch keine Windmasten. Macht es das einfacher, für den Ausbau der Windkraft zu streiten? 

Andreas Jung: Richtig ist: Bei uns im Landkreis Konstanz gibt es bisher noch keine Windkraftanlagen. Es sind aber Projekte in Planung und es gibt Befürworter und auch Gegner. Der Ausbau kommt in ganz Baden-Württem­berg nur schleppend vorankommt. Das liegt unter anderem daran, dass hier von unserer Landesregierung eine verbindliche Regionalplanung abgeschafft wurde. Das halte ich für einen Fehler. Mit einer verbindlichen Regionalplanung kann festgelegt werden: hier Windkraft, da Naturschutz und dort Landschaftsschutz. Das muss man möglichst weit im Vorfeld und über Gemeindegrenzen hinweg tun. Jetzt ist die Planungsfrage als kommunale Aufgabe verankert worden. Das ist ein großes Problem, weil die Gemeindegrenzen oftmals oben auf dem Berg verlaufen. Das heißt, wenn die eine Gemeinde etwas plant, dann ist die Nachbargemeinde davon genauso und manchmal sogar mehr betroffen. Am Planungsverfahren ist sie aber nicht direkt beteiligt. Deshalb ist eine verbindliche Regionalplanung der richtige Weg, um die Anliegen aller Betroffenen und Beteiligten in einem größeren Zusammenhang in Einklang zu bringen. 

Olaf Tschimpke: Da stimme ich voll zu. Bisher wurde immer von Energiewende geredet, aber ich denke, das Thema Naturverträglichkeit gehört dazu. Und da spielen natürlich Planungsprozesse eine ganz entscheidende Rolle. Wir haben überall da große Probleme, wo die Planung kommunalisiert wurde, weil wir Steuerungsmöglichkeiten auf regionaler Ebene einfach aus der Hand gegeben haben. Ich war immer ein großer Gegner davon. Ich komme aus Niedersachsen. Hier stehen wirklich große Windanlagen. Und daher weiß ich, was man falsch und was man auch richtig machen kann. Die verbindliche Regionalplanung ist eine der wichtigen Steuerungsinstrumente. Denn wir haben natürlich auch immer Verdrängungsprozesse. Wenn man einen Kompromiss gefunden hat, kann er nicht fünf Jahre später aufgelöst werden. Das zerstört sämtliches Vertrauen. 

Jung: Wir haben auch bei der Photovoltaik noch große Potenziale. Ich bin sehr dafür, dass wir die ausschöpfen – auf Dächern, auf Parkplätzen, auf größeren Gebäudekomplexen. 

Und Sie haben keine Probleme mit großen Solaranlagen, die auf den Wiesen gebaut werden? 

Tschimpke: Na ja, die Debatten, die gab es natürlich auch. Aber da muss man mal die Prioritäten richtig setzen. Ich kann schlichtweg nicht verstehen, dass es neugebaute Gewerbegebäude ohne Solaranlage gibt. Ich verstehe nicht, warum man das nicht einfach im Baugesetz vorschreiben kann. Wir haben so viele Großflächen, die völlig ohne Solartechnik ausgestattet werden, dass ich mir dann wirklich überlegen würde, ob ich immer in die Freifläche reingehen muss. Probleme mit dem speziellen Artenschutz haben wir jedenfalls bei den Photovoltaikanlagen nicht. Das ist eher eine Frage des Landschaftsbildes und des Flächenverbrauchs. 

In Norddeutschland sollen viele alte Anlagen durch das Repowering technisch aufgerüstet werden. Zementiert das aber nicht die Vormacht der Region im Bereich der Windenergie? Und damit auch die Notwendigkeit, große Stromtrassen zu bauen, die wiederum ein starker Eingriff in die Natur sind?

Tschimpke: Windenergie richtet sich ja nach der Windhöffigkeit und da wird es immer einen gewissen Vorsprung in Norddeutschland geben. Trotzdem brauchen wir auch einen Ausbau im Süden. Das müssen wir mit kluger Förderpolitik unterstützen. Trotzdem werden wir nicht um den Leitungsausbau von Nord nach Süd kommen. Das sehen alle so. Allein schon aufgrund der Offshore-Technologie im Meer. Das muss man einfach ins Kalkül ziehen. Ich bin aber schon dafür, dass man die Potenziale im Süden nutzt und das auch mit einer vernünftigen Förderpolitik unterstützt. Wir müssen sehen, dass wir eine sinnvolle Struktur hinbekommen.

Jung: Wir müssen im gesamten Bundesgebiet sehen, dass wir den Ausbau so steuern, dass wir unsere Ziele erreichen und aber eben nicht überkompensieren. Sie erinnern sich an Peter Altmaier als Umweltminister. Er hat mal alle Bundesländer bereist und die Ministerpräsidenten nach ihren Ausbauzielen gefragt. Danach hat er die Kapazitäten ausgerechnet. Das Ergebnis war dann etwa das Doppelte des Ausbauziels des Bundes. Dass wir deshalb eine Gesamtsteuerung brauchen, ist ja unbestritten. Diese Sorge steht aber im Widerspruch zur vorher genannten, dass die Ziele nicht erreicht werden könnten. Und aus genau dem Grund haben wir uns in der Koalition darauf verständigt, Ausbauziele nicht nur abstrakt zu formulieren, sondern konkret durch Korridore umzusetzen.

Durch das neue Ausschreibungsverfahren wird ja zunächst einmal, jedenfalls in der bisherigen Planung, keine Nord- und Südverteilung festgelegt. Herr Jung, sind Sie dafür, dass es da doch noch eine Quotierung geben sollte? 

Jung: Nein, das wäre nicht die richtige Antwort. Ich glaube aber schon, dass man bei der Ausschreibung gewisse Aspekte berücksichtigen muss, die über die Frage der Kapazität hinausgehen. Ich bin der Meinung, dass Regionalität und Dezentralität eine Rolle spielen müssen. 

Tschimpke: Man könnte auch das Thema Naturverträglichkeit in die Ausschrei­bung reinbringen und dann hätte man ein weiteres Steuerungsinstrument. 

Wäre Ihnen daran gelegen, Herr Tschimpke? 

Tschimpke: Natürlich, das zwingt von vornherein dazu, sich vernünftig mit den Dingen auseinanderzusetzen. Dass man erst mal die Standorte, die am geeignetsten sind, auswählt und sich nicht gleich an dem Standort verkämpft, wo die dichteste Schreiadler­population von ganz Deutschland lebt. Das wird auch steuernd auf die Projektierer einwirken und das ist gut so. 

Gilt das auch für die Akzeptanz der Bürger vor Ort? Herr Jung sagt, es ist wichtig, dass Bürgerenergiegruppen auch profitieren. Die stimmen einer Anlage zu und dann sagt man ihnen, da gibt es den falschen Vogel. 

Jung: Es ist notwendig, die Fragen der Naturverträglichkeit von vornherein mit einzubeziehen. Und so etwas ist ja durchaus im Ausschreibungsverfahren möglich. Ich will an der Stelle noch mal auf ein anderes Thema hinweisen. Wir haben vereinbart, dass es beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit eine Clearingstelle geben soll, um solche Fragen frühzeitig zu behandeln. Wenn vor Ort Fragen auftauchen, soll Expertise vorhanden sein und ein Erfahrungsaustausch mit anderen Regionen möglich werden. Wir hoffen, dass dann vieles an Konflikten frühzeitig ausgeräumt werden kann, weil wir feststellen, dass es in manchen Regionen viele Diskussionen und im wahrsten Sinne des Wortes Gegenwind gibt und in anderen weniger. Und man kann besser voneinander profitieren und vieles frühzeitig klären. 

Tschimpke: Das Kernteam dieser Clearingstelle, das „Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende“, ist schon gebildet. Und im Wesentlichen geht es jetzt darum, Mediatoren zu finden. Ich verspreche mir davon eine ganze Menge. Man muss dann fachlich argumentieren und kann nicht nur emotional auftreten. Das ist ein wichtiger Schritt vorwärts. Auch der Vogelschutz muss dann seine Argumente fachlich belegen. Und bei Anlagen für Erneuerbare muss genau angegeben werden, warum dieser Standort geeignet ist und ein anderer nicht und wie das Landschaftsbild sich verändern würde. Das ist schon mal eine wichtige Voraussetzung für eine gleiche Gesprächsebene, auf der man sich dann am Ende vielleicht auch verständigen kann. 

Thema Netzausbau. Der hat für den Vogelschutz eine große Bedeutung. Es gibt aber auch ein massives Akzeptanzproblem. Windkraftanlagen sind das eine, aber so eine 380-Kilovolt-Leitung ist noch mal ein ande­res Thema. Wird das ein schwelender Konflikt werden zwischen betroffenen Regionen und denen, an denen dieser Kelch vorbeigeht?

Tschimpke: Na ja, auch da muss man unterscheiden zwischen dem Konflikt Naturschutz und Netzausbau und den Bürgern, die solch ein Netz nicht vor ihrer Haustür haben wollen. Es gibt fachlich fundierte Empfehlungen, wo Freileitungen nicht durchführen sollten und welche Vogelschutzmarkierungen man anbringen sollte, damit Kraniche oder Schwäne nicht mit den Leitungen kollidieren. Der Vogelschutz wird auch bei den vielen neuen Leitungsbauprojekten schon auf früher Planungsebene ernst genommen. Aber da jetzt über Erdkabel debattiert wird, kann man viele Konflikte auch entschärfen. Tatsächlich hat sich der NABU massiv mit verschiedenen Projekten eingebracht. Es ist ja nicht so, dass überall gestritten wird. In Schleswig-Holstein hat es eine sehr intensive Auseinandersetzung um Stromleitungen gegeben. Man hat sich gemeinschaftlich geeinigt, und das in einer Region, die nun wirklich schon viele Windanlagen hat. Das zeigt, dass ein vernünftiges Miteinander möglich ist. Aber es gibt natürlich auch einen gewissen Gewöhnungseffekt. Wenn man schon 20 Jahre mit Windanlagen gelebt hat, dann haben Sie ein anderes Bild, als wenn das jetzt ganz neu auf Sie zukommt. Das wird nicht ohne Konflikt gehen. Das wissen wir doch alle. Wir müssen versuchen, auf einer sachlichen Ebene zusammenzukommen. 

Herr Jung, Sie bekommen in Ihrer Partei von einigen Skeptikern Gegenwind, wenn es um den Ausbau der Erneuerbaren Energien geht. Glauben Sie, dass bei noch stärkeren Umwelt- und Naturschutzauflagen und steigenden Energiepreisen die Akzeptanz in der Öffentlichkeit anhält?

Jung: Wir haben Beschlüsse auf dem Bundesparteitag gefasst, die hat auch die Regierung gefasst, und wir haben sie im Koalitionsvertrag stehen: Die Erneuerbaren Energien sind die Zukunft und wir wollen die Stromversorgung auf Erneuerbaren Energien aufbauen. Trotzdem müssen wir die Akzeptanzproblematik diskutieren. Natürlich gibt es theoretisch Alternativen. Die eine ist die Kernenergie – die hat die Akzeptanz verloren und wir steigen zu Recht aus. Dann ist da die Kohle. Da ist die Akzeptanz regional unterschiedlich. Aber wegen unserer Klimaziele kann sie über 2050 hinaus keine Alternative sein. Und Fracking ist auch nicht wirklich eine Option. Das heißt, der Weg hin zu regenerativen Energien ist klar. Trotzdem ist die Akzeptanz nicht automatisch da. Und deshalb müssen wir die Diskussionen über die Naturverträglichkeit und über die Kosten führen. Da haben wir mit den Beschlüssen in der Großen Koalition vieles auf den Weg gebracht in Richtung mehr Wettbewerb, in Richtung Marktwirtschaftlichkeit. Auch die Entscheidung für eine Erdverkabelung in bestimmten Gebieten wird die Akzeptanz erhöhen. Ich erhoffe mir davon auch eine Beschleunigung des Netzausbaus. Es handelt sich dabei zugegeben um eine teure Maßnahme und auch das ist ein Eingriff, aber ein viel geringerer als Strommasten. Natürlich muss jeweils im Einzelfall geprüft werden, welche Auswirkungen die Erdkabel unter der Erde auf den Naturschutz haben. Wir führen diese Diskussion manchmal so, als bräuchte man nur Energienetze, weil wir auf Erneuerbare setzen. Auch für andere Energieträger bräuchten wir Netze, wenngleich es natürlich manchmal andere wären. Die teuersten Netze sind die, die man nicht baut! 

Tschimpke: Vielleicht muss man an der Stelle auch mal fair sein. Wir wissen alle, dass wir jetzt natürlich einen großen Investitionsschub auch durch Erneuerbare haben, was zwangsläufig auch zu Kostensteigerungen führt. Das wird auf Dauer aber nicht so bleiben. Es ist eine Investition in die Zukunft und deswegen haben wir ja auch immer zum EEG gestanden. Wir hätten diesen Technologiefortschritt sonst nicht hinbekommen.

Lesen Sie auch den 1.Teil des Streitgespräches.

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