Gefährdet der Naturschutz die Energiewende? Teil 1

Energiewende und Naturschutz dürfen sich nicht ausschließen. Vor allem die steigende Anzahl an Windkraftanlagen sorgt für Akzeptanzprobleme. Über mögliche Lösungen.

Gespräch Olaf Tschimpke und Andreas Jung zum Thema Naturschutz

Olaf Tschimpke , Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (NABU), und Andreas Jung (CDU), Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Konstanz.


Herr Tschimpke, beginnen wir mit dem Naturschutz. Wie viele Vögel sterben jährlich an den Folgen des Windkraftausbaus?

Olaf Tschimpke: Viele. Es ist nicht leicht, das zu zählen. Es gibt im speziellen Artenschutz tatsächlich eine ganze Reihe von Problemen, zum Beispiel bei Fledermäusen und bestimmten Vogelarten. Das sind Konfliktfelder, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, aber nicht die einzigen. Die Windkraft beeinträchtigt auch das Landschaftsbild.

Der Naturschutz ist also dagegen ...?

Tschimpke: Wenn Sie hier einen Konflikt zwischen Naturschutz und Klimaschutz herbeireden wollen: Den gibt es nicht. Klimaschutz ist allerdings nicht allein der Ausbau der Windenergie, sondern das ist ein Gesamtthema. Das beinhaltet die Leistungsfähigkeit der Ökosysteme genauso wie den Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Themen Energiesparen sowie Energie- und Ressourceneffizienz in Gebäuden. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht immer nur einen Teilaspekt betrachten. Ohne Wälder, Moore, gute Böden – das sind die größten CO2-Speicher überhaupt – wird kein Klimaschutz gelingen. 

Herr Jung, hat die Energiewende ein Akzeptanzproblem vor allem da, wo sie mit Windkraftanlagen und Hochspannungsleitungen sichtbar wird, also auf dem Land – und da insbesondere im Süden der Republik, also zum Beispiel bei Ihnen in Konstanz? 

Andreas Jung: Es gibt eine Diskussion, gewiss. Die habe ich auch im Wahlkreis. Im Landkreis Konstanz ist ein Zusammenschluss von Stadtwerken und Bürger­energieunternehmen jetzt konkret dabei, einen Standort für eine Windkraftanlage umzusetzen – mit großer Akzeptanz der Gemeinde und der Bürger vor Ort. Ein zweiter Standort ist dagegen sehr umstritten. Ich habe neulich bei einer Podiumsdiskussion mit etwa 600 Bürgern ganz klar gesagt, dass Windkraft auch in Baden-Württemberg Standorte braucht. Die Windkraft wird die größte Rolle spielen unter den Erneuerbaren. Wenn man als Baden-Württemberger nicht will, dass der neue Länderfinanzausgleich heißt, der Norden produziert den Strom, schickt ihn zu uns und wir bezahlen, dann sollte man dafür sein. Olaf Tschimpke, Präsident des NABU (re) und Andreas Jung, Bundestagsabgeordneter der CDU 

Bundesweit bilden sich Bürgerinitiativen, denen der NABU nicht mehr stark genug Front gegen Windkraftanlagen macht. Sind der Natur- oder genauer der Artenschutz ein valides Argument gegen den Ausbau der Windkraft, Herr Tschimpke, oder wird es vorgeschoben? 

Tschimpke: Teilweise wird das sicher vermischt. Man will Windkraft nicht als Nachbar und sucht nach Naturschutzargumenten, auch wenn man sich jahrzehntelang nicht dafür interessiert hat. Wir als Naturschutz­organisation müssen schon aufpassen, dass wir uns nicht vor den falschen Karren spannen lassen. Wir sind sogar dazu verpflichtet, als Verband für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen einzustehen und im Rahmen der Verbandsklage für das Einhalten der gesetzlichen Rahmenbedingungen zu sorgen. Das ist nicht immer das, was Bürgerinitiativen bewegt. Wir als NABU stehen dafür ein, dass das Ganze versachlicht wird. Wir stehen zum Leitbild der naturverträglichen Energiewende und es wird deshalb immer jemanden bei uns im Verband geben, der das kritisiert. Das ist der Spannungsbogen, mit dem man leben muss. Deshalb haben wir sehr darum gerungen, das „Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende“ nun endlich im Juni auf den Weg zu bringen. Da wird es Mediatoren geben, die sowohl die speziellen Probleme des Artenschutzes und des Naturschutzes kennen als auch wissen, welche Problemlagen die Erneuerbaren Energien haben. 

Dem NABU wird vorgeworfen, den Ausbau der Windkraft massiv durch Verbandsklagen zu behindern, Herr Tschimpke. Das ist doch keine Petitesse.

Tschimpke: Es ist inzwischen längst untersucht worden, wie viele Verbandsklagen es seitens des Naturschutzes in Deutschland gibt. Das Umweltbundesamt hat für den Zeitraum zwischen 2006 und 2012 eine Analyse für große Infrastrukturvorhaben erstellt: Den mehr als 750 Vorhaben pro Jahr standen insgesamt gerade mal 58 Verbandsklagen aller Umweltverbände gegenüber, also weniger als zwölf im Jahr. Die Zahlen bei den Windenergievorhaben sind ähnlich. Und dann sind von diesen Klagen etwa 50 Prozent erfolgreich. Das ist doch ein Popanz. Wir haben im letzten und vorletzten Jahr einen enormen Ausbau der Wind­energie in Deutschland erlebt. Da muss man doch mal die Kirche im Dorf lassen. Wir verhindern keine Windenergie, das könnten wir auch gar nicht, sondern wir lassen überprüfen, ob Planungsverfahren rechtskonform zum Bundesnaturschutzgesetz sind. Das ist ein völlig legitimes Anliegen und im Übrigen ein gesetzlicher Auftrag, den wir haben. Beispiel Offshore‑Windpark Butendiek: Das ist einfach ein Sündenfall. Den haben wir von Anfang an bekämpft, weil er mitten in einem der wichtigsten Vogelzug- und -rastgebiete liegt und auch für das Thema Schweinswal von erheblicher Bedeutung ist. Oder das Thema Schreiadler in Mecklenburg-Vorpommern, wo wir erfolgreich geklagt haben: Das ist das wichtigste Populationsgebiet in Deutschland und da muss man eine fachliche Abprüfung auch nach gesetzlichen Normen zulassen. 

Herr Jung, wird es immer schwieriger, Flächen für Windkraftanlagen ausfindig zu machen, bei denen weder der NABU noch andere Protagonisten klagen?

Jung: Ich würde es gar nicht an der Frage der Klagen festmachen. Auch so ist es schon schwierig, Flächen zu finden. Es gibt für unsere Region Untersuchungen, welche Standorte hier vom Windangebot her potenziell möglich wären. Das sind ungefähr 20. Wie viele bleiben dann noch übrig, wenn wir allein die Frage nach dem Vogelschutz geklärt haben? Eine kleine einstellige Zahl. Ganz viele Standorte scheiden aus, ganz konkret, wegen des Rotmilans. Deshalb plädiere ich dafür, dass wir keine statische Sichtweise verfolgen. Völlig klar ist, dass Vogelschutz wichtig ist. Ich bin aber sehr skeptisch gegenüber der gegenwärtigen Regelung, die besagt: Wenn irgendwo ein Rotmilan sitzt, dann darf man in einem Radius von einem Kilometer keine Windkraftanlage bauen. Und ich bin noch skeptischer, wenn ich jetzt in dem Helgoländer Papier lese, dass gerade beim Rotmilan dieser Radius auf Vorschlag der Länderarbeitsgemeinschaften der Vogelschutzwarten noch einmal ausgeweitet werden soll. Mir haben Experten erklärt, dass ein Rotmilan sich nicht genau in einem Radius von einem Kilometer rund um seinen Horst bewegt, sondern dass er ein bestimmtes Flugverhalten hat. So orientiert er sich von seinem Horst am Wald­rand eher in Richtung Offenland und nicht in Richtung Wald. Wenn man die Wiesen rund um die Windkraftanlage nicht mäht, dann könnte das zum Schutz dieses Vogels beitragen. Ich wünsche mir ein weniger statisches Verständnis, ohne den Vogelschutz zu beeinträchtigen. 

Wäre die Einzelfallprüfung ein Weg?

Tschimpke: Das Helgoländer Papier ist eine Empfehlung, die von den Vogelschutzwarten ausgesprochen worden ist, den zuständigen Fachbehörden für Ornithologie. Trotzdem muss immer in jedem Einzelfall geprüft werden, wie die Situation vor Ort tatsächlich ist, und zwar nicht nur in Bezug auf die Windenergie, sondern auch auf die Straßen- oder Bebauungsplanung und so weiter. Und das passiert auch. Das Problem ist oft, dass keine Verlässlichkeit herrscht. Da wird der Korridor, auf den man sich für den Rotmilan geeinigt hat, bei der nächsten Planung wieder über den Haufen geworfen. 

Wer also keine Windkraftanlage vor der Tür will, beschafft sich halt irgendwo einen Rotmilan und setzt den da aus. Ist das so einfach? 

Tschimpke: Das ist Blödsinn. In einer vernünftig ausgestatteten Landesbehörde, die über viele Jahre den Milan kartiert, kennt man dessen Standorte. Wenn die Länder geschlampt und ihre Naturschutzbehörden abgeschafft haben, sieht das anders aus. Aber auch da muss man die Ausbreitung des Vogels belegen können. 

Herr Jung, woher nehmen Sie den Optimismus, dass die ehrgeizigen Ziele der Energiewende zu schaffen sind? 

Jung: Das ist immer mit Anstrengung und Mühe verbunden. Seit ich politisch tätig bin, begleitet uns die Diskussion darüber, ob die Erneuerbaren es schaffen können. Die werden eine Nische bleiben, hieß es lange. Wenn wir aber die Fakten nehmen, dann haben wir beim Ausbau der Kapazitäten Fortschritte gemacht, die die Ziele weit übertroffen haben. Auch und gerade im Bereich der Windenergie. Seit vergangenem Jahr sind die Erneuerbaren der Energieträger Nummer eins in Deutschland. Darauf gilt es jetzt aufzubauen. Und natürlich bedarf das weiterhin erheblicher Anstrengungen, vor allem beim Leitungsbau und bei Entwicklung und Ausbau von Speichertechnologien. 

Und was ist jetzt der nächste Schritt? 

Jung: Wir stellen die Förderung der Erneuerbaren Energien ja gerade auf neue Beine, was ich grundsätzlich begrüße. Damit die Erneuerbaren nahezu die gesamte Energieversorgung leisten können, müssen sie sich stärker dem Wettbewerb stellen, noch mehr mit marktwirtschaftlichen Instrumenten gefördert werden. Aber wichtig ist, dass die Bürgerbeteiligung dabei erhalten bleibt. Die Erneuerbaren Energien haben den Vorteil, dass sie dezentral sind und nicht nur wenige große Konzerne davon profitieren, sondern viele kleine Unternehmen, Stadtwerke oder Bürgerinitiativen. Für die Akzeptanz vor Ort ist das wichtig. Jedes Projekt ist mit einem Eingriff in die Natur verbunden, da ist es gut, wenn nicht irgendein anonymer Investor dahintersteht, sondern eben auch die Bürger vor Ort, die diesen Eingriff hinnehmen müssen, profitieren. 

Tschimpke: Darf ich an dieser Stelle widersprechen? Wir reden ja nur über den Strommarkt. Das ist aber nicht die Energiewende. Wir werden die Klimaschutzziele nicht erreichen, wenn wir den Verkehr, die Landwirtschaft und die Gebäude weiter vernachlässigen. Das leidige Thema steuerliche Abschreibung ist wirklich ein Trauerspiel. Da haben wir die größten Potenziale und es passiert nichts. Ich habe nicht so große Sorgen beim Ausbau der Erneuerbaren, aber selbst da müssen wir langsam nachjustieren. 

Jung: Das sehe ich gar nicht als Widerspruch, sondern als Ergänzung. In der Tat ist Energieeffizienz, ist Gebäudesanierung der schlafende Riese, den wir endlich wecken müssen. Die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung haben wir im Bundestag beschlossen. Aber wir brauchen die Zustimmung der Länder, die jedoch nicht bereit sind, ihren Anteil zu tragen. Die Energiewende ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Und dass die Länder sich in dieser Frage verweigern, ärgert auch mich.

Lesen Sie auch den 2. Teil des Streitgespräches.

Suche