Gemeinsam Prioritäten entwickeln

Interview: Der neue Generalsekretär von Eurelectric Kristian Ruby will in Zukunft einiges anders machen - und besser

Seit Januar 2017 ist der Däne Kristian Ruby neuer Generalsekretär des europäischen Stromverbands Eurelectric. Ruby ist das Gegenteil dessen, was man sich unter einem Brüsseler Stromlobbyisten vorstellt. Er ist jung, aufgeschlossen und willens, mit alten Strukturen und Gewohnheiten zu brechen. Ruby kam vom europäischen Windverband WindEurope. Zuvor war er für die Europäische Kommission und das dänische Energieministerium tätig. Ruby spricht unter anderem fließend Deutsch und Englisch. Mit seinen Eltern, die beide als Journalisten tätig waren, lebte er lange Zeit in Bonn, wo er auch sein Abitur machte. „Zweitausend50“ traf Kristian Ruby Anfang des Jahres während seiner Vorstellungsreise zu einem Gespräch: Über seine Reformpläne, die Verbändestruktur in Brüssel, das „Winterpaket“ der Europäischen Union und die neue Rolle der Verteilnetzbetreiber.


Zweitausend50: Herr Ruby, Sie haben zu Beginn Ihrer Amtszeit zuerst eine Tour durch die europäischen Hauptstädte gemacht. Was ist Ihnen besonders aufgefallen?

Ruby: Alle Vorstände und Geschäftsführer unserer Mitglieder sind sehr pragmatisch und auch progressiv. Es ist ein klarer gemeinsamer Wille da, die Energiewende voran zu treiben und einen Beitrag dazu zu leisten, den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen.

Und Ihre ersten Kontakte zur Politik?

Ruby: Aufgefallen ist mir von Anfang an, dass Eurelectric im Vergleich zu anderen Interessenvertretungen in der 1. Liga spielt. Der Zugang zu Politikern ist einfach, und für die Politik ist es in unserem Fall sehr praktisch, sich mit dem Repräsentanten einer ganzen Industrie an den Tisch zu setzen statt mit Dutzenden Sparten- und Special Interest-Vertretern.

Das ist einerseits nachvollziehbar. Andererseits gibt es doch weiterhin eine starke Versäulung der Verbändelandschaft in Brüssel. Es gibt ja neben Eurelectric auch noch Eurogas und viele Erneuerbaren-Verbände. Wie ist da langfristig die Perspektive?

Ruby: Ich habe eine klare Vision: Ein vereinter Sektor mit einer Interessenvertretung, die mit einer Stimme gegenüber der Politik spricht – auch in Brüssel. So könnten wir als Energiewirtschaft gemeinsam unsere Prioritäten entwickeln, und auch für die Politik ergäbe sich ein einfacheres Bild. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass die Institutionen ein Interesse an einem aufgeteilten Energiesektor haben, da so die Sparten und Wertschöpfungsstufen gegeneinander ausgespielt werden können und das Regieren einfacher wird, „Divide et impera“. Wie sagt man nochmal auf Deutsch?

Teilen und herrschen.

Ruby: Genau. Was das jetzt für die einzelnen Organisationen heißt und wie man sich organisiert, das wird die Zukunft zeigen.

Sie sagten eben, dass Sie einen gemeinsamen Willen in Europa ausgemacht haben, die Energiewende weiter voran zu treiben. Man kann aber auch manchmal den Eindruck bekommen, dass es nicht Wenige gibt, die abwarten wollen, dass diese „Mode“ wieder vorbei geht.

Ich glaube, dass alle Hauptakteure verstehen, dass weder Klimawandel noch Energiewende Modeerscheinungen sind. Die Diskussion auf europäischer Ebene ist immer kompliziert und ambivalent. Aber bei den  Zielen gibt es meistens große Übereinstimmung. Die Frage ist eher, wie man dahin kommt. Nehmen wir mal die Dekarbonisierungsstrategie in den einzelnen Ländern. Alle haben eine solche Strategie. Die einen machen es mit Kernkraftwerken, andere wollen den Weg über die Erneuerbaren Energien gehen. Es gibt unterschiedliche Wege, aber das Ziel ist klar und das unterstützen auch alle.

Um nochmal zurück auf Eurelectric zu kommen: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für den Umgang mit den Mitgliedern? Gibt es Reformpläne?

Ruby: Ich möchte zunächst dazu sagen, dass mein Vorgänger Hans ten Berge in den vergangenen Jahren einen tollen Job gemacht hat. Für mich ist jetzt klar, dass die Zeit reif ist, Visionsarbeit zu leisten.

Visionsarbeit?

Ja. Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen: Wo will dieser Sektor eigentlich hin? Was ist die ökonomische und gesellschaftliche Vision? Was ist unser Beitrag zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen und was werden wir künftigen Kunden anbieten können? Über diese Fragen wollen wir auch mit unseren Stakeholdern ins Gespräch kommen. Und erst dann möchte ich eine detaillierte Strategie formulieren, die die Perspektiven für die nächsten Jahre beschreibt. Darüber hinaus möchte ich an der Value Proposition von Eurelectric arbeiten, also besser definieren, welchen Nutzen wir unseren Mitgliedern versprechen können.

Und die interne Organisation?

Ruby: Wir müssen uns schon fragen, ob wir momentan mit unserer Kompetenzstruktur noch auf der Höhe der Zeit sind. Momentan sind wir entlang der Sparten und der Wertschöpfungskette organisiert…

…wie der BDEW…

Ruby: …genau. Das spiegelt ja auch die jetzige Industrie in gewisser Weise wider. Aber was ist mit der Industrie von morgen? Mit Aggregatoren? Und Speichern? Digitalisierung? Da müssen wir uns genau anschauen, wie wir diesen Entwicklungen Rechnung tragen und wie wir unser Gremienarbeit darauf abstellen.


BDEW-Magazin Interview Ruby

Energieeffizienz ist gut, solange sie wirtschaftlich Sinn macht. Kristian Ruby


Wie bewerten Sie die große energiepolitische Initiative der Europäischen Union, die als „Winterpaket“ bekannt ist?

Absolut positiv ist, dass die Kommission versucht, einen einheitlichen Rechtsrahmen für die Energiewende herzustellen und damit auch ein level playing field für den Strommarkt. Alle Unternehmen in Europa sehnen sich nach Planungssicherheit.

Und negativ?

Es gibt auch eine Menge Fragen. Das Winterpaket soll ja nach Aussage der Kommission Ausgangspunkt für einen freien Markt sein. Und dieser Anspruch wird dann auf 1200 Seiten beschrieben. Ein freier Markt auf 1200 Seiten! Etwas zuviel Micromanagement, oder? Eine Hauptsorge für uns ist sicherzustellen, dass dieses Paket mit dem übrigen Acquis – also die Gesamtheit des gültigen EU-Rechts – zusammen gedacht ist und dass die einzelnen Instrumente komplementär sind. 

In Deutschland ist das Schlagwort Sektorkopplung populär. Und die Elektrifizierung der Sektoren Verkehr und Wärme. Geht das realistisch mit dem 30 Prozent-Energieeffizienzziel zusammen? Und mit Wirtschaftswachstum?

Bei Eurelectric ist die Position: Energieeffizienz ist gut, solange sie wirtschaftlich Sinn macht. Und unsere Position ist, die von Ihnen beschriebene Aufgabe über Primärenergiefaktoren zu lösen. Wir sollten uns also die Frage stellen, welche Energie man haben möchte und welche Energie man einsparen möchte. Will man die grüne Energie, die man gerade subventioniert hat, jetzt wieder einsparen? Oder will man die High Carbon Energy einsparen? Das kann man konkret in den Energieeffizienz-Richtlinien regulieren und das wäre für uns der beste Weg.

In der Diskussion ist auch die Gründung einer europäischen Einrichtung, die die Verteilnetz­betreiber (DSO) repräsentieren soll, die sogenannte DSO-Entity. Das würde auch die über 900 DSO in Deutschland betreffen. Was halten Sie von diesem Vorschlag?

Die DSO sind eines der fünf Kernthemen von Eurelectric für die kommenden Jahre. Die Verteilnetze werden der zentrale Marktplatz der Energiewende werden. Es gibt aber bereits vier verschiedene Organisationen in Brüssel, die den Anspruch haben, die DSO zu vertreten. Und für mich gibt es keinen Zweifel, dass es sinnvoll für die DSO wäre, sich durch Eurelectric vertreten zu lassen. Als Stromverband erkennen wir die vielfältige Struktur der DSO in den europäischen Ländern an und für uns ist es eben auch immer wichtig, kleineren Unternehmen und in diesem Fall kleinen DSO eine Stimme zu geben. Zur geplanten Entity: Es ist wichtig, dass sich hier die Funktionen nicht vermischen. Es kann nicht sein, dass sich hier eine Organisation auf europäischer Ebene bildet, die einerseits eine gewisse legislative Rolle, andererseits eine Lobbyrolle inne hat.

Eine letzte Frage: Wir führen in Deutschland eine Diskussion über die Kosten des Erneuerbaren-Ausbaus. Dadurch stößt die Energiewende in Deutschland auf Akzeptanzprobleme. Wie bekommen wir das in den Griff?

Daran sieht man aber auch, wie wichtig es ist, die Erneuerbaren Energien einem Marktsignal auszusetzen. Wir haben das bei der Windenergie erlebt, aktuell funktioniert es auch bei der Photovoltaik. Durch Markt und Wettbewerb finden immense Kostenreduktionen statt. Wettbewerb ist das Beste, was man den Erneuerbaren Energien antun kann – im besten Sinne des Wortes.


Interview: Mathias Bucksteeg und Henning Jeß

Suche