Klimagipfel: Klimaschutz ist auch eine ökonomische Chance

Kurz vor dem Klimagipfel in Paris treffen in Berlin die Bundesumweltministerin und der BDEW-Präsident zusammen. Vor welcher Aufgabe, so die Frage, steht die deutsche Energiewirtschaft im Angesicht der klimapolitischen Entwicklung?

Streitgespräch Hendricks und Kempmann

Bundesumweltministerin Dr. Barbara Hendricks und BDEW-Präsident Johannes Kempmann sprachen vor dem Klimagipfel in Paris über Klimaschutz und deutsche Energiepolitik.

Moderation: Tom Levine

Gehen Sie hoffnungsvoll nach Paris, Frau Dr. Hendricks?

Dr. Barbara Hendricks: Ja, ich bin positiv gestimmt, denn im Unterschied zu anderen Konferenzen haben sich auch die Vereinigten Staaten und China auf Ziele verpflichtet. Zugleich können wir den Ländern des Südens in Bezug auf die Erneuerbaren, die jetzt marktgängig sind, Entwicklungschancen aufzeigen. Das ist ganz wichtig für die Vertrauensbildung.

Johannes Kempmann: Die Hoffnung teilen wir. Aber die Definition von Zielen allein wird nicht reichen. Was wir brauchen, sind verbindliche Umsetzungsmechanismen, sonst bleiben wir am Ende des Tages wieder im Unverbindlichen. Kriegen wir einen Zertifikatehandel außerhalb der EU ausgeweitet, am besten weltweit? Das ist die entscheidende Frage.

Hendricks: Verbindliche Umsetzungsmechanismen wird es nicht geben, weil alle Länder von ganz unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehen. Jedes Land wird einen Beitrag nach seinen eigenen Möglichkeiten leisten müssen und können.

Kempmann: Wir brauchen sie aber. Nationale Alleingänge sind ja sehr ehrenwert, aber am Ende des Tages verlagern wir damit nur Emissionen von einem Land ins andere. Und dann haben wir fürs Klima überhaupt gar nichts geschafft. 

Ist der Klimaschutz als Ziel in der Energiewirtschaft angekommen, Herr Kempmann?

Kempmann: Ja natürlich. Wir haben uns schon vor Jahren auf eine CO₂-neutrale Energieversorgung im Jahr 2050 festgelegt. Das weiß mancher vielleicht nicht mehr so genau, aber das ist Beschlusslage. Momentan ringen wir intern um die Frage, was die richtigen Schritte sind, um da hinzukommen? Darum geht es auch in den Auseinandersetzungen mit der Bundesregierung. Insgesamt sind die Auswirkungen der Energiewende auf die Produktionsbedingungen der Energiewirtschaft noch nicht wirklich in den Köpfen angekommen. Damit wir in Zukunft weitgehend ohne Kohle und ohne Gas Strom produzieren können, ist ein gewaltiger Strukturwandel nötig. Dagegen ist, mit Verlaub, der Ausstieg des Ruhrgebiets aus der Kohleförderung ein Klacks gewesen. Deswegen brauchen wir sehr schnell einen wirklich offen geführten gesamtgesellschaftlichen Diskurs, um die Kernfragen, die Meilensteine zu definieren. Wer bezahlt das alles? Was darf das kosten? Was brauchen wir an Speichern, was an Netz? Wir führen diese Diskussion innerhalb des Verbandes mit harten Auseinandersetzungen der unterschiedlichen Sparten, die oft unterschiedliche Interessen haben. Als Verband wollen wir aber sprechfähiger werden, als wir das heute sind. 

Hendricks: Es ja nicht verwerflich, dass die Interessenlagen unterschiedlich sind. Wir haben doch immerhin eine Übereinkunft über das Ziel. Im Jahre 2050 wollen wir Strom mindestens zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien gewinnen und im Verhältnis zu 1990 80 bis 95 Prozent weniger CO₂ ausstoßen. Innerhalb der EU muss Deutschland eher 95 als 80 Prozent Minderung beitragen. Darüber, wie man dann dorthin kommt, gibt es natürlich gesellschaftliche Auseinandersetzungen. Das große Thema ist: Wie gehen wir mit der Verstromung von Kohle um? Nach Lage der Dinge wird man davon ausgehen können, dass 2050 der konventionelle Anteil der Stromproduktion eher vom Gas als von der Kohle kommt. Da müssen wir einen strukturierten Prozess hinbekommen. 

Kempmann: Wir gehen dieses Thema ja gerade mit den 2,7 Gigawatt Braunkohle an, die in die Reserve gehen. Klimapolitisch ist das kein Beitrag, der irgendwie hilft. Es wird ja deswegen kein einziges Gaskraftwerk in Deutschland extra laufen. Aber ich bin trotzdem dafür, dass wir das so machen. Weil von allen Akteuren das politische Signal ausgeht: Wir gehen diesen Strukturwandel jetzt an. Und wir flankieren ihn, damit es nicht zu sozialen Verwerfungen führt. 

Hendricks: Deswegen glaube ich auch, dass sich die Unternehmen und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihren Betriebsräten darauf einstellen werden. Ein Prozess, den man über 25 bis 30 Jahre steuern kann, hilft Strukturbrüche zu vermeiden. Im rheinischen Revier, zwischen Düsseldorf, Köln und Aachen, wird der Anpassungsprozess Zeit brauchen, aber es wird verhältnismäßig leichter sein als in der Lausitz oder im mitteldeutschen Revier. Ich kann da niemandem raten, was genau zu tun ist. Das liegt in der Verantwortung der Landesregierungen, wobei die Bundesregierung natürlich unterstützen kann und wird. Aber alle müssen sich klar darüber werden, dass die Produktion und Verstromung von Braunkohle endlich ist. 

Aber reicht die Geschwindigkeit im Prozess? Steigen wir schnell genug um?

Hendricks: Wir hatten im ersten Halbjahr 32 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus Erneuerbaren. Das ist noch ein ganzes Stück von 80 Prozent entfernt. Aber unser Klimaaktionsplan beschreibt ja die Schritte, die wir gehen müssen. Bis 2020 werden wir gegenüber 1990 minus 40 Prozent weniger Treibhausgase erreichen, bis 2030 haben wir uns auf minus 55 Prozent verpflichtet. Damit sind wir innerhalb der Europäischen Union quasi am oberen Rand des Ehrgeizes. Die 40 Prozent will die Europäische Union erst im Jahr 2030 erreichen. Wir sind schon bei denjenigen, die im Geleitzug vorne sind. Das müssen wir aber auch, weil wir das bedeutendste Industrieland sind. 

Kempmann: Ich habe ein bisschen Zweifel, ob das alles so funktioniert. Nehmen wir mal das Thema Speicher . Wir nutzen im Moment das gesamte europäische Verbundnetz als Resonanzboden für unseren Überschussstrom. Den schieben wir nach Frankreich, nach Polen, nach Tschechien. Unsere östlichen Nachbarn haben damit erhebliche Probleme und bauen inzwischen elektronische Grenzzäune auf. Wenn die anderen auch auf diese Idee kommen, dann funktioniert das europäische Verbundnetz nicht mehr. Das ist so. Das hat was mit Physik zu tun, und die entzieht sich bekanntlich der politischen Mehrheitsbildung. Wenn wir auf 80 Prozent kommen wollen, brauchen wir sehr dringend Speicher, sonst wird das nichts. 

Hendricks: Das ist eine Voraussetzung, richtig. Wobei ich an dieser Stelle den deutschen Netzbetreibern durchaus mal ein Kompliment aussprechen möchte. Dass wir mit diesen Volatilitäten im Netz so gut umgehen, so gut wie nie Stromausfälle haben in der Bundesrepublik Deutschland, das wird in anderen Teilen der Welt mit Hochachtung gesehen. 

Aber bleibt das auch so? Schon jetzt ziehen sich Investoren aus Investitionen in konventionelle Kraftwerke zurück. 

Hendricks: Auf den internationalen Finanzmärkten sehen wir, dass Investoren sich aus der Produktion fossiler Energieträger zurückziehen, aber dass das schon Kraftwerke betrifft, sehe ich so nicht. 

Kempmann: Wir schon. Wir erheben die Zahlen regelmäßig. Schon heute stehen rund 53 Prozent aller geplanten Kraftwerksneubauten infrage. Ab 2022 werden so viele Kraftwerke in Deutschland abgeschaltet, dass wir jetzt schon in Erneuerung gehen müssten. Dies wird es aber nur geben, wenn Investoren die Chance sehen, mit ihrem Geld auch etwas verdienen zu können. Bei den derzeitigen Rahmenbedingungen ist das nicht gegeben. Wir brauchen deshalb einen Kapazitätsmarkt. Ich hoffe, dass dieses Thema nach der Bundestagswahl 2017 neu diskutiert werden kann. Und wir brauchen einen neuen Vorstoß bei der Kraft‑Wärme‑Kopplung . Wir haben jetzt eine Novelle, das ist schon mal gut, aber damit werden wir nicht mal den Bestand erhalten können. 

Herr Kempmann, ist die Energiewirtschaft selbst aktiv genug? 

Kempmann: Sie wäre es ja gerne. Gucken wir uns zum Beispiel das Thema Forschung und Entwicklung an. Da ist die Energiewirtschaft ganz anders aufgestellt als zum Beispiel die Automobilindustrie oder die Pharmaindustrie. Das hat aber nicht so sehr etwas damit zu tun, dass wir Forschung nicht wollen. Wir können das inzwischen kaum noch. Da ist nicht mehr genug Kapital da. Viele Energieunternehmen kämpfen ums Überleben. Da haben wir industriepolitisch ein riesengroßes Problem. 

Hendricks: Gerade an der Stelle ist die öffentliche Forschungsförderung außerordentlich umfangreich. Das sollten Sie nicht vergessen. 

Kempmann: Die Anstrengungen des Bundesforschungsministeriums sind ausdrücklich zu loben, aber darum geht’s mir gar nicht. Ein Beispiel: Samsung hat Tausende Leute, die sich mit Batterieforschung befassen. Ein Unternehmen. Wo sind die denn bei uns? Die Energiewirtschaft hat rund 200 Millionen Euro an Forschungsaufkommen. Das ist so ungefähr ein Prozent der EEG-Umlage. Wir erreichen damit null Innovation. Wir nageln kilometerlang Photovoltaikmodule aus China an die Wand und finden das innovativ. 

Hendricks: Entschuldigung, das ist doch eine Folge von Forschung und Entwicklung. Sonst wären die Chinesen doch nie auf die Idee gekommen, Solarmodule zu produzieren. 

Ist die Energiewende ein Erfolgsmodell für die restliche Welt oder haben wir uns dank Überbürokratisierung lächerlich gemacht? 

Hendricks: Nein, lächerlich gemacht haben wir uns ganz und gar nicht. In der Welt wird überwiegend mit Bewunderung auf die Energiewende geschaut, aber natürlich auch abwartend, wie schaffen die das? Und wir sind nicht überbürokratisiert. Wir haben mit dem EEG ein Markteinführungsprogramm gemacht, weil wir die Ersten waren. Die anderen machen es jetzt anders, ist doch völlig klar. Die Systeme sind ja auch preiswerter geworden. Dass wir jetzt selbst etwas ändern, also etwa die feste Einspeisevergütung durch Ausschreibungsmodelle ablösen, das zeigt ja, dass wir das Handling ständig anpassen. 

Kempmann: Das Thema Bürokratisierung kann man schon unterschiedlich sehen. Raten Sie mal, wie viele Tarife es bei den EEG-Abrechnungen gibt inzwischen? 100? 400? Weit über 4.000! Die müssen die Verteilnetzbetreiber überall und bis hinter Posemuckel vorhalten. Bei jeder IT-Migration müssen sie das mitnehmen. Und jede Extraregelung ist gut gemeint und gut begründbar, hat aber wahnsinnige Auswirkungen am langen Ende. Auch was die Netze angeht, sind wir in einem Regulationskorsett, das gerade in kleineren Unternehmen unglaublich viel Aufwand bedeutet. 

Hendricks: Vom Prinzip her kann ich Ihnen nicht widersprechen. Aber wenn man versucht, etwas zu verändern, was einmal auf andere Weise zugesagt war, dann gibt es immer gleich größte öffentliche Anteilnahme. Das gelingt einfach nicht immer. 

Wir haben jetzt ausführlich über die Stromproduktion geredet. Was ist mit Wärmemarkt, Mobilität und Landwirtschaft? Passiert da was? Passiert da genug, Frau Ministerin? 

Hendricks: Wir haben das im Blick und gehen das mit unserem Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 an. Die Bundesregierung hat die Beiträge definiert, die die verschiedenen Sektoren zu erbringen haben. Klar steht die Stromproduktion im Vordergrund. Aber wir müssen die Sektoren Strom und Wärme und Verkehr stärker als bisher integrativ betrachten. Wie wirkt das in einem Gesamtsystem zusammen, wie lassen sich Synergien heben, die uns sowohl industriepolitisch als auch klimaschutzpolitisch und energiepolitisch voranbringen? Da gibt es noch zu viele Hemmnisse; wir sind dabei, die zu identifizieren, um sie dann abbauen zu können. 

Kempmann: Viele sind der Meinung, wenn man nur relativ schnell relativ viele EEG-Anlagen in die Landschaft stellt, dann wird das schon mit der Energiewende. Das ist völlig verkürzt gedacht. Wir brauchen die Landwirtschaft, den Verkehr, wir brauchen insbesondere den Wärmebereich, um am Ende des Tages die CO₂-Einsparziele zu erreichen. Als erstes brauchen wir einfach einen funktionieren Emissionszertifikatehandel im Stromerzeugungssektor. 

Hendricks: Unsere Position ist es nicht, den Verkehrssektor mit in den ETS-Markt einzubeziehen. 

Kempmann: Nein, das nicht. Aber wir reden seit vier Jahren über die Frage der steuerlichen Förderung von Gebäude­sanierungen. Und Bund und Länder können sich darüber nicht einigen. Jetzt geht’s um solche irrsinnigen Themen wie die Frage des Handwerkerprivilegs. Ein Euro Steuererleichterung in diesem Bereich, das wissen wir doch, wird bis zu acht Euro privates Kapital mobilisieren. 

Hendricks: Ich bedaure es auch, dass Bund und Länder sich darauf nicht haben einigen können. Aber vergessen Sie nicht die anderen Fördermöglichkeiten, die wir aufgelegt haben: Zinsverbilligungen und die Zuschussförderung. Die sind für Privateigentümer, die ihr Einfamilienhaus energetisch sanieren wollen, eigentlich das Mittel der Wahl. 

Zum Schluss noch mal zurück zum Thema Dekarbonisierung. Sehen wir dem nächsten Ausstieg entgegen? Ist das in der Industrie und in der Politik angekommen? 

Hendricks: Ja. Es ist davon auszugehen, dass es in 25 oder 30 Jahren keine Kohleverstromung in Deutschland mehr geben wird. Es kann ja auch gar nicht anders gehen, wenn man sich den Strommix im Jahr 2050 anguckt, auf den wir uns seit 2007 geeinigt haben. Um der Redlichkeit und der Menschen willen, die in den Kohlerevieren leben und arbeiten, müssen wir einen strukturierten Prozess beschreiben und steuern, wie wir unter Rücksichtnahme auf die regionale Wirtschaft und die Beschäftigten Alternativen entwickeln. 

Kempmann: Da sind wir uns einig. Wir brauchen einen sauber strukturierten Prozess. Der fängt damit an, dass man umfänglich die Fragen auflistet, die in diesem Zusammenhang zu beantworten sind. Und da geht es dann nicht nur um die Lausitz. Es ist viel umfänglicher. Die Dekarbonisierung betrifft die gesamte Wertschöpfungskette der Industrie in Deutschland. Wir brauchen dringend einen sauber aufgesetzten gesamtgesellschaftlichen Diskurs über diese Frage. Da stecken wir im Moment alle die Köpfe in den Sand. Das können wir aber nicht mehr lange aushalten. Sonst verzetteln wir uns in einer Fülle von Einzelmaßnahmen, die am Ende des Tages nicht zusammenpassen. Wir brauchen klare politische Rahmenbedingungen, damit die Industrie entscheiden kann, was im Einzelnen passieren muss. Je mehr Markt wir dort zulassen können, umso besser ist es. Die Branche steht für diesen Dialog bereit.

Hendricks: Dazu genau dient der Grünbuch- und Weißbuchprozess, den mein Kollege Sigmar Gabriel aufgesetzt hat. All diese vielen Fragen müssen in dem Zusammenhang tatsächlich auf den Tisch kommen und beantwortet werden. 

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

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