Nitratbelastung – Bedrohung für unser Grundwasser

Die intensive Landwirtschaft zerstört unsere Lebensgrundlage: Mehr Fleisch, höhere Ernten und am Ende – Nitratbelastung des Grundwassers. Von Reiner Schweinfurth

Wir sehen es nicht, riechen und schmecken es nicht und was es langfristig in unserem Organismus bewirkt – darüber gibt es noch keine abgeschlossenen Untersuchungen: Nitrat im Grundwasser. Aus dieser Ressource beziehen über 90 Prozent der Menschen in Deutschland ihr Trinkwasser. Umso verstörender, was die EU-Kommission herausgefunden hat. Bei 82 Prozent aller Seen und Flüsse stellte sie eine Nitratbelastung fest, die mit über 50 Milligramm pro Liter den Grenzwert überschreitet. Tendenz steigend. Oft ist die Durchsetzung drei‑ oder viermal so hoch. Der Grund dafür ist unbestritten – eine Massentierhaltung, die der Hinterlassenschaften der Tiere immer schwerer Herr wird, und eine Landwirtschaft, die auf Teufel komm raus düngt. Umwelttoxikologen sind sich inzwischen einig, dass Nitrat zu den großen Umweltproblemen der Gegenwart gehört und die Stabilität von Ökosystemen gefährdet. Ein klassischer Zielkonflikt schwappt an die Oberfläche: Der wirtschaftliche Erfolg der Fleischproduzenten gefährdet die Schutzpflicht der Wasserwerke, den Menschen sauberes Wasser zur Verfügung zu stellen. Auch die Bundesregierung weiß, dass die Festlegung der Werte verschärft werden muss. Es fällt mehr Gülle an, als es bewirtschaftete Flächen gibt, die sie aufnehmen können. 2010 gab es 167 Millionen Kubikmeter, die auf hiesigen Äckern als Dünger verteilt wurden. Neue Zahlen soll es erst 2017 geben. Mutmaßlich wird sich die Menge im Vergleich zur letzten Erfassung fast verdoppelt haben. Das jedenfalls legen die Produktionszahlen der Fleischindustrie nahe. Die erlebt nämlich gerade goldene Zeiten, trotz immer mehr Vegetariern und Veganern. Mit einem Umsatz von zwölf Milliarden Euro im Jahr 2014 war sie die Lokomotive bei der Lebensmittelerzeugung. Im vergangenen Jahr gab es mit über acht Millionen Tonnen Fleisch eine Rekordmenge . Seit 2004 hat sich die gehandelte Menge Hühnerfleisch in Deutschland fast verdoppelt, in den Ställen wurden noch nie so viele Schweine wie zurzeit gehalten, 58.350.000 kamen 2012 unters Messer. In anderen Ländern sehen die Zuwächse ähnlich aus. In den Niederlanden gibt es einen Gülle-Tourismus, der den Transport zu bis zu 200 Kilometer entfernte Entladungsflächen in Kauf nimmt. Mit Vorliebe an die deutsche Grenze. Hierzulande boomt diese „Verklappung“ ebenfalls: Tanklaster holen die Überschüsse bei den Bauern ab und bringen sie zu Landwirten, bei denen zu wenig eigener Dünger anfällt. Dies schafft aber keinen Ausgleich mehr. Es stinkt zum Himmel und die Wasserwerke schlagen Alarm. Johann Hans, Geschäftsführer Wasser‑ und Abwasser‑Zweckverband Niedergrafschaft in Niedersachsen, sagte dem öffentlich-rechtlichen Sender ZDF im vergangenen September: „Wenn die Entwicklung der Grundwasserbelastung so weitergeht, werden wir auf Dauer eine Aufbereitungsanlage bauen müssen. Und das wird dann entsprechende Kosten verursachen, das kann bis zu einer Verdoppelung des Wasserpreises führen.“ Ackerbauern in Franken, die nicht im Verdacht stehen, Ökorebellen zu sein, legen schon Flächen still, weil aus ihren Brunnen kein gesundes Trinkwasser mehr kommt. Mal sehen, wann die niedersächsischen Landwirte im Kreis Viersen folgen, denn hier ballt sich die Fleischproduktion Deutschlands. Jedenfalls wird diese Notbremse in Zukunft öfter gezogen werden, wenn nichts passiert. Danach sieht es aber aus. Denn die notwendige Novellierung der Gülleverordnung wird frühestens 2019 greifen – Millionen Kubikmeter Exkremente zu spät. Aber was müsste passieren? Zum Beispiel die Gülle in Biogas umwandeln? „Das ist leider auch keine Lösung“, sagt Egon Harms vom Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverband. „Die Gärreste müssen auch irgendwohin. Und sie sind noch nitratbelasteter.“ Also bleibt nur, den Fleischkonsum einzuschränken: weniger Tiere, weniger Mist. Würde etwa jede zweite Fleischmahlzeit durch ein Essen ohne Schwein, Rind und Huhn ersetzt, verringerte sich die Nitratbelastung um fast die Hälfte. Die Verbraucher haben es wenigstens teilweise in der Hand. Gegen die exportorientierte Produktion sind sie aber erst mal machtlos. Bis zur vegetarischen Weltgesellschaft dauert es noch. Eine Option zur Verbesserung der Lage wäre, weniger zu düngen. In Franken haben sich Wasserwerke, Bauern, Müller und Bäcker zusammengetan, um „Grundwasserschutzbrot“ zu backen. Der dafür verwendete Weizen wird nur noch einmal im Jahr gedüngt. Dadurch gibt es im Korn weniger Eiweiß, der Teig hat eine andere Qualität. Den Leuten schmeckt’s – und die Nitratbelastung sinkt kontinuierlich. Es gibt also ein Fünkchen Hoffnung, jedenfalls beim Ackerbau. Dabei darf es aber nicht bleiben. Sonst, so Wasserfachmann Hans, geht’s für die Verbraucher, also uns alle, richtig ins Geld. „Wir haben zurzeit 95 Cent pro Kubikmeter, in der Zukunft wären das sicherlich an die zwei Euro, die bezahlt werden müssten.“

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