Deutschland war einmal Weltspitze in der Photovoltaik. Im "Solar Valley", einem Industriegebiet in Bitterfeld, saß mit Q-Cells der größte Solarzellenproduzent der Welt, zu seiner Blütezeit 2007 war das Unternehmen an der Börse acht Milliarden Euro wert. 2010 arbeiteten in Deutschland insgesamt 133.000 Menschen in der Photovoltaikbranche, dann begann der Abstieg: Subventionierte Konkurrenz aus China und Preisverfall trieben einen deutschen Hersteller nach dem anderen in die Pleite, heute gibt es keine industrielle Fertigung von Solarzellen mehr in Deutschland. Das Freiburger Start-up NexWafe hat ein Verfahren entwickelt, mit dem sich das wieder ändern könnte.
Die Idee
Wafer sind das Herzstück von Solarzellen. In den dünnen Siliziumscheiben findet die eigentliche Umwandlung von Sonnenlicht in Strom statt. Wafer haben auch den größten Anteil an den Kosten für Solarzellen. Nach herkömmlichen Verfahren werden die einen Fünftelmillimeter dicken Scheiben von einem Siliziumblock gesägt, dabei gehen 40 bis 50 Prozent des Siliziums verloren. NexWafe nutzt eine vollkommen neue Technologie: Die Siliziumscheiben wachsen Schicht für Schicht auf einem Saatwafer und werden dann verlustfrei abgelöst. Das vermeidet nicht nur die Materialverluste beim Sägen, es spart auch jede Menge Energie, die sonst erst für die Herstellung der Siliziumblöcke aufgewendet werden müsste. Insgesamt soll das Verfahren die Kosten für Wafer halbieren. Dafür erhielt NexWafe 2019 den Umwelttechnikpreis Baden-Württemberg in der Kategorie "Materialeffizienz". Die Wafer der Freiburger können ohne Probleme in bestehenden Solarzellen- und Modulproduktionen verwendet werden. Die Energieausbeute soll sogar höher sein.
Die Herausforderung
"Unsere Technologie macht die bisherige Fertigung obsolet", ist Dr. Stefan Reber überzeugt. Der Physiker und CEO von NexWafe hat fast 20 Jahre am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) an dem neuen Herstellungsverfahren geforscht, bevor er 2015 das Unternehmen mitgründete: "Fraunhofer ist eine Forschungsgesellschaft. Da kann man zwar perfekt neue Technologien entwickeln, aber nicht in Masse produzieren", so Reber. "Ab einem bestimmten Punkt muss man rausgehen." Damals traf Reber auch seinen späteren Mitgründer und heutigen CFO, Dr. Frank Siebke.
Wie Reber ist Siebke von Haus aus Physiker. Darüber hinaus hat er BWL studiert und lange in der Solarindustrie gearbeitet. Ab 2005 war er für einen Cleantech-Investor in der Schweiz tätig, der auch Spin-offs des Fraunhofer ISE mitfinanzierte. 2013 kam Siebke beratend an das Forschungsinstitut, so lernte er Reber kennen. "Ich war von der Technologieplattform begeistert", erinnert er sich. Gemeinsam haben beide dann Ideen gewälzt und überlegt, wie es mit der Technologie weitergehen kann. "Letztlich haben wir gesagt: Was wir richtig gut können, ist, sehr hochwertige Wafer sehr günstig herzustellen. Und dafür gibt es einen riesigen Markt." Die Herausforderung war dann, die Herstellung der Wafer von Einzelstücken im Labor in Richtung Serienfertigung zu treiben. Dafür sollte die Idee raus aus dem Forschungsumfeld. "So was kann ein Unternehmen viel besser als ein Forschungsinstitut", so Reber.
Das Unternehmen
Für ihn war es dann ein konsequenter Schritt, nach seiner Vorarbeit am Fraunhofer ISE die Technologie auch als Unternehmer zusammen mit Siebke weiter voranzubringen. "Wenn man eines am Fraunhofer lernt, dann industrienah zu arbeiten. Der Schritt vom Forscher zum Unternehmer war also gar nicht so außergewöhnlich", sagt der Physiker.
In den ersten Jahren konzentrierte sich das Start-up darauf, Anlagen weiterzuentwickeln, die Technik zu skalieren und verlässlich zu machen. "Wir mussten die Technologie ja erst einmal zu einem Produkt fertig entwickeln, damit ein Kunde etwas damit anfangen kann", erinnert sich Reber. Am Anfang habe es einen ganzen Tag gedauert, einen einzigen Wafer herzustellen – und der habe nicht einmal die volle Fläche gehabt. "Für eine Massenproduktion müssen wir einen Wafer pro Sekunde herstellen können", erklärt Reber. Mittlerweile läuft eine Pilotlinie in Freiburg, deren Kapazität derzeit auf eine Million Wafer pro Jahr erweitert wird.
Wenn wir die Technologie im Land haben, um selbst konkurrenzfähig Solarmodule zu produzieren, sind wir nicht auf Importe aus China angewiesen. Frank Siebke, CFO NexWafe
Doch das soll nur ein Zwischenziel sein: Ab 2022 will NexWafe in großem Maßstab Wafer in Massen produzieren. Dafür planen die Freiburger eine Fabrik im ehemaligen "Solar Valley": "In Bitterfeld gibt es eine ehemalige Polysiliziumfabrik. Die Anlage ist in einer Art Dornröschenschlaf, wir werden sie wieder nutzen", erklärt Siebke. Das spare viel Zeit und auch Kosten. "In der ersten Ausbaustufe planen wir eine Kapazität von 400 Megawatt. Insgesamt sind bis zu drei Gigawatt möglich." Jetzt gehe es darum, den Investoren zu beweisen, dass die Technologie funktioniert.
Die Kunden
"Wir werden unsere Wafer jetzt intensiv mit den Kunden qualifizieren und auf Herz und Nieren prüfen", erklärt Reber. Es gebe Kunden, die sich für den klassischen NexWafe-Wafer interessieren, der sei eher dicker und eine günstigere Alternative zu gängigen Wafern. Es gebe aber auch Kunden, die an einer weiteren Besonderheit der Wafer von NexWafe interessiert sind: "Wenn man Wafer absägt, geht das ja nur bis zu einer gewissen Mindestdicke", erklärt Reber: "Unsere Wafer wachsen aber von null und wir steuern, bis zu welcher Dicke. So können wir sehr viel dünnere Wafer herstellen, die sogar biegsam sind." Das erlaube ganz neue Einsatzfelder und mache die Wafer zum Beispiel auch für Automobilzulieferer interessant.
Die Vision
Für die Zukunft ihres Unternehmens sehen Reber und Siebke enormes Potenzial: "Photovoltaik ist ein gigantischer Markt und eine gigantische Chance für die Menschheit", so Reber. Das Ziel von NexWafe sei, zum Global Player in der Solarindustrie zu werden. Es gehe aber um mehr als den wirtschaftlichen Erfolg, so der Physiker: "Solarstrom günstiger zu machen und daran mitzuwirken, die Welt mit umweltfreundlicher Energie zu versorgen, ist ein ganz starker Treiber des Unternehmens."
Auf dem Weg dahin sieht Siebke aber speziell in Deutschland noch Herausforderungen: "Als Solar-Start-up weht einem hierzulande der Wind ganz schön entgegen, sowohl bei Investoren als auch in der Politik. Vielen steckt noch die Erfahrung in den Knochen, dass die deutsche Solarindustrie gescheitert ist", so Siebke. Er wünscht sich mehr Offenheit, wenn es darum geht, in neue Technologien zu investieren, sie aufzubauen und dann in Europa zu halten.
Saubere und preiswerte Energieversorgung sei ein wichtiger Grundstein für Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit. Solarenergie könne das bieten. "Wenn wir jetzt die Technologie im Land haben, um selbst konkurrenzfähig Solarmodule zu produzieren, sind wir nicht auf Importe aus China angewiesen", sagt Siebke. So könne man auch dafür sorgen, dass von den Steuergeldern, die an Forschungsinstitute wie das Fraunhofer ISE gehen, wieder etwas zurückkommt und Wertschöpfung in Deutschland entsteht.
Text: Roman Scherer
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