Sektorkopplung: Die Stromgasfrage (Teil 1)

Sektorkopplung ist das neueste Buzzword der Energiewirtschaft. Strom- und Gasbranche diskutieren, wohin die Reise gehen soll.

Michael Riechel , Vorsitzen­der des Vorstandes der Thüga AG, und

Dr. Martin Grundmann , Geschäftsführer der ARGE Netz, diskutieren über das Potenzial, die Schwierigkeiten und die anstehenden Aufgaben bei der Sektorkopplung. Moderation: Tom Levine

Ohne Wärme- und Mobilitätswende wird die Energiewende nicht gelingen. Das steht außer Frage. Der Fokus allein auf die Stromerzeugung reicht nicht aus, um die CO2-Emissionen bis 2050 um 95 Prozent zu verringern. Seit einiger Zeit drängt der Begriff der Sektorkopplung in die Diskussion. Mit Power-to-X-Verfahren sollen die Grenzen zwischen Energie­trägern überwunden werden, um die Netze im Ausgleich zwischen fluktuierenden und stetigen Energiequellen nicht zu überfordern. Wie kann das funktionieren? Wer gewinnt und wer verliert? Michael Riechel, warum kommt Sektorkopplung gerade jetzt so in Mode? Liegt das in der Logik des starken Ausbaus der Erneuerbaren? Michael Riechel: Ja natürlich. Erneuerbare Energie wird ja zu fast 90 Prozent in die Stromverteilnetze eingespeist. Es entsteht extremer Handlungsdruck, weil wir diese Verteilnetze über die nächsten 15 bis 20 Jahre sehr viel stärker werden ausbauen müssen. Das wirft wiederum die Frage auf, ob man das Stromnetz nur als abgeschlossenes System betrachten oder nicht doch intelligent mit anderen Netzen koppeln sollte – zum Beispiel mit dem Gasnetz. Stichwort: Power-to-X, Power-to-Gas. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten. Dass die Energieträger weiter jeder für sich kämpfen, macht aus meiner Sicht keinen Sinn. Michael Riechel ist Vorstand der Thüga AG. Man könnte meinen, dass die Gasbranche ihr Geschäftsmodell und ihre Infrastruktur mithilfe der Erneuerbaren retten möchte. Oder umgekehrt? Riechel: Wenn eine Branche der anderen was wegnehmen will, kann dieser Eindruck entstehen. Aber das ist auch nicht meine Aussage. Der Hintergrund ist doch ein anderer. Nehmen wir als Beispiel das Power-to-Gas-Projekt, das wir in der Thüga-Gruppe verfolgt haben. Die Ausgangsfrage war: Was können wir tun, bevor wir die Strominfrastruktur durch die Zuspeisung von Erneuerbaren Energien überlasten? Wir müssen entweder erhebliche Investitionen zum Ausbau in die Hand nehmen oder wir nutzen die parallele Infrastruktur Gas, um da teilweise zu kompensieren. Wir haben Letzteres jetzt erst einmal rein technologisch getestet: Funktioniert das eigentlich? Der zweite Schritt war: An welchen Systemstellen kann ich diese Technologie einbinden? Auch das haben wir geklärt. Der immer noch offene Punkt ist: Wie bekomme ich ein solches Modell in den Markt? Martin Grundmann, warum brauchen wir aus Ihrer Sicht Sektorkopplung? Dr. Martin Grundmann: Das ist aus meiner Sicht kein reines Infrastrukturthema, sondern auch ein Marktthema. Wir brauchen die Infrastruktur zur Flexibilisierung des Energiesystems, aber es geht um mehr: Die Erneuerbaren Energien müssen die Möglichkeit erhalten, sich am Markt zu refinanzieren. Das ist im Moment gesetzlich faktisch verboten. Diese Fehlentwicklung soll über den Paragrafen 27a im EEG-Entwurf sogar noch zementiert und eine starre Betriebsweise der Anlagen vorgeschrieben werden. Mit der Folge, dass nicht der gesamte erneuerbare Strom genutzt werden kann. Das ist eine Einschränkung, die weder der Realität entspricht noch den Anforderungen an das zukünftige Energiesystem. Was wir brauchen, ist die Öffnung aller Märkte für Erneuerbare. Dies muss zu gleichen Wettbewerbsbedingungen in allen Sektoren gelten. Bislang gilt die Umwandlung von Strom in Gas als vollkommen unwirtschaftlich. Wie soll sich Power-to-Gas ohne Subvention rechnen? Riechel: Kommt drauf an, welche Faktoren in die Rechnung einbezogen werden. Ohne an dieser Stelle Power-to-Gas alleine positionieren zu wollen: Man muss berücksichtigen, dass man zum Beispiel über entsprechende Mengen Skalierungseffekte bekommt und dass man zugleich bestimmte Investitionen, etwa in Strominfrastruktur, vermeiden kann. Aber mein Punkt ist eigentlich ein anderer: Wir dürfen nicht in die Gefahr laufen, bestimmte Infrastrukturen zu überstressen und andere dabei zu entwerten. Die Kopplung der Systeme wird an diesem Punkt im Prinzip für Gleichgewicht sorgen. Dr. Martin Grundmann ist Geschäftsführer der ARGE Netz. Dank Power-to-Gas Stromnetzinvestitionen sparen? Grundmann: Da muss man differenzieren. Erneuerbare Energie ist elektrisch, also brauchen wir ein leistungsfähiges Stromnetz und damit auch die Übertragungsnetze. Wir werden aber zunehmend Mengen an Wasserstoff und synthetisches Gas aus Erneuerbarer Energie produzieren und nicht vollständig lokal verbrauchen. Diese Mengen könnten beispielsweise vom Gasnetz aufgenommen werden, das dann als Speicher dient. Auf der regionalen Ebene werden wir noch zahlreiche Innovationen erleben, um die erzeugte Erneuerbare Energie vollständig zu nutzen: Das ist Power-to-X. Sektorkopplung bedeutet also eine stärkere Verknüpfung von Infrastrukturen, Märkten und erneuerbarer und konventioneller Erzeugung. Haben wir das richtig verstanden, dass Sie davon ausgehen, dass das Gas in Zukunft aus erneuerbaren Quellen kommt? Grundmann: Ja, die Zukunft ist erneuerbar und elektrisch. Wir werden einen Paternoster-Effekt haben, wo die erneuerbare Seite nach oben und die konventionelle Seite nach unten fährt. Wenn sich das System eingespielt hat, liegen wir bei einem Verhältnis von 80 zu 20 oder 90 zu 10. Das müssen wir in den nächsten 30 Jahren umsetzen, mit der klaren Perspektive, dass der Zubau der Erneuerbaren und der Rückbau der Konventionellen stattfinden. Für die nächsten Jahrzehnte ist die Koexistenz in der Erzeugung von Energie das, worum es in der Realität geht. Zudem müssen wir die politischen Vorgaben der Dekarbonisierung ernster nehmen. Das heißt ja nicht, dass es keine gasförmigen Stoffe im Energiebereich mehr geben wird. Aber das heißt, dass Gas zunehmend aus elektrischer Energie umgewandelt wird. Riechel: Da habe ich noch ernsthafte Zweifel, Herr Grundmann. Ich spreche jetzt mal als Vizepräsident DVGW Gas: Nach der jetzigen Gesetzgebung darf die Einspeisung von Wasserstoff ins Gasnetz maximal zu zehn Volumenprozent erfolgen. Und selbst, wenn das anders geregelt wäre, würde eine höhere Einspeisung im Netz aus allerhand Gründen schwierig. Ohne jetzt ins Detail zu gehen: Da gibt es Probleme auf der Transportseite, mit Verdichtern, mit Speichern und so weiter. Theoretisch könnte man den erzeugten Wasserstoff natürlich noch mit CO 2 zu CH4 wandeln, dann hat man wieder Methan. Aber das ist noch ein zusätzlicher Prozess, der auch wieder Geld kostet und der überdies eine Bereitstellung von CO 2 voraussetzt. Das sehe ich nicht. Grundmann: Kurzfristig ist das Thema noch zu klein, da haben Sie Recht. Aber es geht hier vor allem um Skalierung. Wenn sich, zunächst im Mobilitätssektor, ein Markt für erneuerbaren Wasserstoff entwickelt, werden wir ganz schnell industrialisierte Prozesse im Bereich der Umwandlung haben. Was mir wichtig ist: Man muss heute beginnen, die ersten Schritte zu tun, was die Fertigungskapazität, die Technologieentwicklung, die Abnahmeseite, den Vertrieb und so weiter angeht. Und natürlich müssen wir hierfür auch die gesetzlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen voranbringen. Und das heißt für die Gasseite: Seht zu, dass Ihr Euer Gasnetz öffnet. Nicht erst in 20 Jahren, sondern heute schon. Sorgt dafür, dass Erdgas durch erneuerbares Gas nach und nach ersetzt wird. Riechel: Sicherlich muss Gas einen Lösungsbeitrag zur Energiewende leisten. Wenn wir unterstellen, dass wir irgendwann nur noch synthetisches oder Naturgas im Netz haben sollen: Wie viel Überschussstrom müssten wir erzeugen, um das bestehende Gasnetz in Deutschland zu befüllen? Das bedeutet riesige Investitionen. Diese Vision ist auch für den Strommarkt von der Erzeugerseite her sehr kritisch. Am Ende muss es der Kunde sein, der entscheidet, was für einen Energieträger er nutzt. Wenn wir so weit kommen, dass uns das vom Staat über Regulierungen vorgeschrieben wird, dann bekommen wir in dieser Republik ein echtes Problem. Einspruch, Herr Grundmann? Grundmann: Die Zukunft ist elektrisch und alle Sektoren werden weitgehend dekarbonisieren müssen. Das bedeutet für Gas, dass es weniger gebraucht wird. Auch im Bereich der Erzeugung von synthetischem Gas wird es deshalb zu keinem Überschuss in dem Sinne kommen. Aber reden wir über den Wärmemarkt. Bei der Wärmelieferung gibt es heute kein „Level Playing Field“ im Wettbewerb. Der größte Anteil an den Kosten kommt aus dem Abgaben- und Steuersystem. Und das führt dazu, dass es sich für ein normales Familienhaus – ob im Bestand oder im Neubau – immer noch eher lohnt, in eine fossile Therme zu investieren als in eine elektrische Wärmepumpe oder eine Brennstoffzelle. Und ein mittelständisches Unternehmen, das Prozesswärme braucht und über Gas erzeugt, würde bei einer Umstellung auf Strom nicht mehr drei Cent, sondern ungefähr zwölf Cent pro Kilowattstunde zahlen. Das ist Faktor vier, das wird kein Unternehmen machen. Und das liegt fast ausschließlich an den staatlich regulierten Abgaben und den Steuern, die auf den unterschiedlichen Energiearten liegen. Riechel: Dass Strom der zukünftige Energieträger für den Wärmemarkt ist, sehe ich nicht. Wir unterstellen ja, dass wir Strom fast nur noch aus erneuerbaren Energiequellen herstellen. Das bedeutet, dass wir zur Sicherstellung dieser Versorgung ein nicht unerhebliches Back-up aus konventioneller Leistung brauchen, weil wir die Flexibilität alleine mit Speichern bislang nicht gewährleisten können. Wenn jetzt noch der Wärmemarkt dazukommt, stehen noch einmal erhebliche Investitionen in konventionelle Erzeugungsanlagen an, die nur wenige Stunden im Jahr laufen sollen. Das ist nicht ökonomisch. Von daher: Zwischen Strom und konventionellem Erdgas wird das zumindest für die nächsten 30 bis 35 Jahre eine gleichberechtigte Koexistenz, weil sie gar nicht konkurrierend im Markt auftreten müssen, sondern ergänzend. Fortsetzung im Teil 2

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