Smart Energy City: Individuell wie ein Maßanzug

Smart Energy City: Wie sieht die Stadt der Zukunft aus? Sie ist energieeffizient, klimaneutral, nachhaltig und digital vernetzt: Sie ist smart. Nachhaltigkeit wird zum Geschäftsmodell. Die Energieunternehmen der Zukunft entwickeln für die Kommunen individuelle Lösungen. Sie werden zu Providern. Von Ralf Mielke

Smart City Mangrove Tower

„Smart Energy City ist das Buzzword unter den Stadtentwicklern“, sagt Franz-Reinhard Habbel vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Freilich verstehe jede Kommune etwas anderes darunter oder setze andere Schwerpunkte. Zwei zen­trale Fragen kristallisieren sich heraus: Wie wird die Energieversorgung gewährleistet? Wie wird innerstädtische Mobilität organisiert? Ausgangspunkt aller Smart Energy City-Konzepte sei die Digitalisierung, sagt Habbel. Erst die Digitaltechnologie ermögliche die Steuerung einer dezentralen Energieerzeugung, von Verbräuchen und Verkehrsbewegungen. „Jede Kommune braucht eine digitale Agenda“, konstatiert Habbel. Die Smart Energy City steht auf einem digitalen Fundament. Die Realität 2016 kann manchmal noch nervend sein. Zum Beispiel für Fahrer herkömmlicher Pkw auf der Suche nach einem Parkplatz in ihrem Berliner Kiez. Dann weicht die Freude über einen freien Streifen am Straßenrand immer öfter der Ernüchterung: Der vermeintliche Parkplatz entpuppt sich als Ladestation für Elektroautos. 420 dieser E-Tankstellen will das Unternehmen Allego, eine Tochter des niederländischen Gas- und Stromnetzbetreibers Alliander, bis Oktober dieses Jahres im Auftrag des Berliner Senats aufstellen. Ende 2020 sollen es mehr als 1.000 sein. Kosten für die Stadt: 6,5 Millionen Euro. Die Ladesäulen sollen den Anteil von E-Mobilität in der Hauptstadt steigern und mithelfen, die hochgesteckten Klimaziele der größten deutschen Metropole zu erreichen. Bis 2050 will Berlin zur klimaneutralen Stadt werden, der Ausstoß von klimaschädlichem CO 2 soll von derzeit rund 21 Millionen Tonnen pro Jahr auf 4,4 Millionen sinken. Ein guter Plan soweit.

Smart Energy City – Kommune der Zukunft

Die E-Tankstellen sind ein Mosaikstein in dem Gebilde, das unter dem Label Smart City in Berlin entsteht – wie auch in etlichen anderen deutschen Städten. In der smarten Kommune der Zukunft wird Energie künftig durch erneuerbare Energieträger erzeugt. Intelligente Speicher wissen, wer wann wo Energie benötigt, und stellen sie im richtigen Maße zur Verfügung. In Häusern, die statt Energie zu verbrauchen Energie bereitstellen, leben und arbeiten Menschen, die mithilfe von Smartphone-Apps verknüpfte Verkehrssysteme für die Fortbewegung nutzen. Im günstigsten Fall geschieht dies zum Nutzen aller Bürger – bezahlbar, komfortabel und transparent. An dieser Stelle kommt die Energiewirtschaft ins Spiel: Am Rande einer Energiekonferenz in Berlin sagt E.ON-Sprecher Markus Nitschke den für einen Energieversorger erstaunlichen Satz: „Künftig werden wir mehr an einer eingesparten Kilowattstunde verdienen als an einer verbrauchten.“ Und entwirft rund um Erneuerbare Energien und Energieeffizienz, um intelligente Netze und smarte Speicher das Bild eines modernen Energiedienstleisters, der „die Energiewende in den Städten“ mitgestalten will. „Nachhaltigkeit ist ein Geschäftsmodell“, sagt Nitschke. In das der Konzern investiert, zum Beispiel im brandenburgischen Falkenhagen. Dort betreibt E.ON eine Power‑to‑Gas-Pilotanlage . Die Technologie zählt zu den vielversprechenden Ansätzen für smarte Energiespeicher. „Die Energieunternehmen der Zukunft entwickeln für jede Kommune eigene Lösungen“, sagt Nitschke. Von der Stange, das sei von gestern. Heute brauche es maßgeschneiderte Angebote. „Individuell wie ein Anzug vom Schneidermeister!“

Kleine Städte sind bei der Entwicklung zur Smart Energy City im Vorteil

Smart ist dabei keine Erfindung der Metropolen. Im Gegenteil: Kleinere Städte können viel schneller und umfassender intelligente Lösungen für Energie und Verkehr, aber auch für E-Government einführen, sagt Franz-Reinhard Habbel vom Städte- und Gemeindebund. Vor allem, wenn sie ihre lokalen Stadtwerke einbeziehen. „Die sind oftmals beweglicher als ihre großen Schwestern in den Ballungszentren“, so Habbel. Sie seien die wirklichen Antreiber der smarten Bewegung. „Stadtwerke werden zu Providern“, sagt Habbel voraus. Neben den klassischen Versorgungsaufgaben würden sie künftig auch die Funktion eines Datenspeichers und Informationsdienstleisters im Energiebereich übernehmen. Innovationskraft außerhalb der Me­tropolen, dafür steht das Beispiel Freiburg: mit 220.000 Einwohnern nicht gerade eine Kleinstadt, aber doch mit überschaubaren Strukturen und einer Bevölkerungsdichte, die deutlich unter jener von Stuttgart, Mannheim und Karlsruhe liegt, den anderen baden-württembergischen Großstädten. Freiburger weisen gerne darauf hin, dass sie schon Mitte der 1970er-Jahre den Bau eines Kernkraftwerks in der Nähe verhindert haben. Sie sehen darin die Geburtsstunde ihrer Green City. Später rückten dann Klimaschutz und Ressourcenschonung in den Mittelpunkt der kommunalen Politik. In den 90er‑Jahren entstanden zwei neue Stadtquartiere mit Passiv- und Plusenergiegebäuden, dezentraler Energieversorgung, teils autofrei. Beinahe 3.000 private Solaranlagen wurden seitdem installiert. Sogar die Profifußballer des SC Freiburg beziehen die Energie für ihre Duschen aus Sonnenenergie. Gleichzeitig schuf Freiburg die Bedingungen für die Ansiedlung von Betrieben aus dem Energiesektor. Das 2009 gegründete Cluster Green City Freiburg vertritt inzwischen die Aktivitäten von mehr als 150 Unternehmen aus der Solar- und Umweltwirtschaft.

Die Liste der Projekte ist lang; eine Anlage zum Speichern von Bremsstrom von Straßenbahnen ist darunter, die größte Biogasanlage des Landes Baden-Württemberg und auch ein Kunstdepot, das mehr Energie erzeugt, als es verbraucht. Heute arbeiten nach Angaben der Stadt 12.000 Menschen im Bereich Umweltwirtschaft und -wissenschaft und erwirtschaften dabei rund 650 Millionen Euro pro Jahr. Nun will die grüne Stadt richtig smart werden. „Es geht darum, Kommunikations- und IT-Technologie so zu nutzen, dass bestehende Strukturen effizienter werden“, sagt Peter Majer, Bereichsleiter Innovation beim Energieversorger Badenova, Partner der Stadt Freiburg nicht nur bei diesen Projekten. Vor allem das Vorhaben Green Industriepark gestaltet sich kompliziert. Das Projekt habe bisher drei Jahre Arbeit gekostet und einen sechsstelligen Geldbetrag, sagt Majer, allein um die Fördergelder zu erhalten. Die seien zwar bewilligt, aber immer noch nicht ausgeschüttet. Unternehmen drohen deshalb abzuspringen. „Es fehlt nicht an Ideen“, sagt Majer, „sondern an Geld, sie umzusetzen.“ Eine Kommune könne so etwas nicht alleine stemmen. Badenova hat deshalb einen Innovationsfonds aufgelegt. 1,6 Millionen Euro aus dem jährlich erzielten Gewinn stellt das Unternehmen für Projekte im Klima- und Wasserschutz zur Verfügung. Weil es nicht alleine zu stemmen ist, hat Köln sich aufgemacht, Leuchtturmstadt des EU-Projekts GrowSmarter zu werden.

Die Stadt hat mit seinen Partnern, darunter der Energieversorger RheinEnergie, neben Stockholm und Barcelona im Oktober 2014 den Zuschlag erhalten. Für GrowSmarter wird die Stegerwaldsiedlung in Köln-Mülheim in ein modernes Modellquartier umgebaut. Im Idealfall, so heißt es vonseiten der Stadt, „entsteht eine Blaupause, welche dann auch in anderen Stadtbezirken in Köln Anwendung finden kann“. Die Stegerwaldsiedlung ist das älteste Nachkriegsquartier in Köln, errichtet zwischen 1951 und 1956 als Wohngebiet für die Industriearbeiter aus Deutz und Mülheim. Das Viertel ist alles andere als hip, die Stadt spricht von einer verschärften sozialen Lage, Geschäftsflächen stehen leer. All das soll sich ändern. Nach und nach werden die Gebäude energetisch saniert, die Energieversorgung mittels Photovoltaik und intelligenten Speichern dezentral. Ein virtuelles Kraftwerk wird die Energieströme steuern, die Bewohner sollen künftig dank Smart Meter ihren Energieverbrauch kontrollieren. Der Verkehr in der Stegerwaldsiedlung soll durch E-Mobility geprägt sein. Ladestationen für Elektrofahrzeuge an sogenannten Mobilitätshubs sollen dazu beitragen. Bis 2020 fließen dafür EU-Mittel in Höhe von 7,3 Millionen Euro an das Kölner GrowSmarter-Konsortium.

Bürger gestalten ihre Smart Energy City

Die Umwandlung bestehender Quartiere in smarte Stadtviertel könnte ein Königsweg sein. So sehen es jedenfalls die Wissenschaftler am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). „Es ist immer besser, Bestehendes Schritt für Schritt zu verbessern, statt lauter Show Cases zu produzieren“, sagt Dr. Jens Libbe, Bereichsleiter In­frastruktur und Finanzen beim Difu. Es gehe darum, die smarte Stadt nah an den Bedürfnissen der Menschen in ihrem unmittelbaren Umfeld zu entwickeln: durch die Verknüpfung von Mobilitätssystemen, durch Parkleitsysteme, die den Parksuchverkehr verringern, durch das Zusammenführen von Sektoren. Wie kann zum Beispiel dezentral aus Abfall neue Energie gewonnen werden? Welche Wege gibt es, Energie in Autobatterien zu speichern? Libbe sagt: „Bisher wird die Smart Energy City zu oft noch als Aufgabe der Wirtschaftsförderer begriffen.“ Dabei begünstige die Digitalisierung neue Formen der Stadtentwicklung: „Bürger gestalten Städte“, sagt Libbe. „Da ist etwas in Gang gekommen, das von unten nach oben wächst.“ Die Städte dürften sich das nicht aus der Hand nehmen lassen. Die Frage sei, welche technischen Lösungen wirklich nachhaltig seien und keine hohen Folgekosten für die Kommunen mit sich brächten. „Es wird spannend zu sehen sein, wie sich die Energieversorger positionieren“, sagt Britta Havemann von der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung über die Rolle der Branche in der Smart Energy City. Sie verweist auf das Projekt WindNODE, für das sich Technologieunternehmen, Stromerzeuger und Netzbetreiber in Nordostdeutschland zusammengeschlossen haben, um Energien auf integrierte Weise zu erzeugen, zu verbrauchen und zu speichern – und dabei mit Energienutzern intelligent zu kooperieren. Ziel ist es, dass die „Systemteilnehmer über ein ,Internet der Energie‘ in annähernd Echtzeit miteinander kommunizieren“, heißt es auf der Webseite. Das Land Berlin hat im vergangenen Jahr eine Smart-City-Strategie verabschiedet, eine mehr als 40 Seiten starke Absichtserklärung, die neben den grünen Aspekten wie Ressourcenschonung, Energieeffizienz und Klimaneutralität auch die Bereiche Sicherung der Daseinsvorsorge und transparente Entscheidungskultur umfasst. Mit der Entwicklung konkreter Umsetzungen will der Senat in diesen Wochen beginnen. 

Ralf Mielke ist Redakteur bei C3. Davor war er bei der Berliner Zeitung und hat über Medien­themen geschrieben.

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