Deutschland soll beim Wasserstoff weltweite Nummer eins werden. Das hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier im Juli 2019 verkündet. Die Bundesregierung will der Technologie im großen Maßstab zur Marktreife verhelfen. Was Wasserstoff so attraktiv macht: Er ist ein Speicher für die schwankende Energieausbeute der Erneuerbaren. Scheint die Sonne oder weht viel Wind, wird Strom im Überfluss produziert. Dieser überschüssige Strom liefert dann die Energie für die Aufspaltung von Wasser in seine Bestandteile: Durch Elektrolyse entstehen Sauerstoff und Wasserstoff, wovon letzterer gespeichert und später wieder in Energie umgewandelt werden kann.
Die Idee
Das Berliner Unternehmen Graforce hat 2018 eine neue Methode vorgestellt, um grünen Wasserstoff zu erzeugen. Statt mit einer Anode und einer Kathode im Wasser funktioniert das Verfahren der Berliner berührungslos: Ein hochfrequentes Plasmafeld spaltet die Wassermoleküle auf. Das Unternehmen nennt das Verfahren entsprechend "Plasmalyse". Wo bei der Elektrolyse vorgereinigtes Wasser verwendet werden muss, kann die Plasmalyse auch Abwasser aufspalten. Dabei ist die Energieausbeute sogar höher – und als willkommener Nebeneffekt ist das Wasser nach der Plasmalyse sauberer.
Die Herausforderung
"Als wir 2010 anfingen, wollten wir Eigenheime dezentral mit Energie versorgen", erinnert sich Dr. Jens Hanke, der Gründer von Graforce. "Unsere Vision war: Häuser haben eine Photovoltaikanlage auf dem Dach und im Keller einen Plasmalyzer. Wenn man dann abends mit dem Brennstoffzellenfahrzeug heimkommt, kann man gleich selbst erzeugten Wasserstoff tanken." Dann habe er gemerkt, dass sich der Markt nicht so schnell entwickle – und sich entschieden, das System hochzuskalieren. Statt Wasserstoff für den Hausgebrauch sollte mithilfe der Plasmalyse jetzt Energie im Megawattbereich erzeugt werden.
Die Neuausrichtung
"Ein Klärwerksprojektierer sah einen Beitrag über Graforce in der Abendschau und rief uns an", so Hanke. Seine Idee: Wenn Plasmalyse Wasser zerlegen kann, dann auch die Stoffe darin. Das durch eine hohe Spannung erzeugte elektrische Feld im Plasmalyzer wechselwirkt nämlich mit allen Molekülen im Wasser, also auch mit Stickstoff- und Kohlenstoffverbindungen. Er schickte Hanke und seinem Team eine Probe aus seinem Klärwerk, sogenanntes Brüdenwasser, das mit Ammonium hoch belastet war. Bei Graforce gab man die Probe in den Plasmalyzer – und war erstaunt: "Durch die Verschmutzung, also durch die Stickstoffverbindung, haben wir auf einmal viel mehr Wasserstoff erhalten", sagt Hanke. "Interessanterweise braucht man vergleichsweise viel Energie, um so ein Wassermolekül aufzuspalten, Ammonium zum Beispiel lässt sich viel leichter spalten." Und auch dabei entsteht Wasserstoff.
Das Angebot
Ab da nahm das Unternehmen vor allem Kläranlagen, Biogasanlagen und Müllverbrennungsanlagen in den Fokus, also Orte, an denen Schmutzwasser mit hoher Kohlenstoff- oder Stickstofflast anfällt. "Die Kosten für die Wasserstoffherstellung lassen sich mit der Plasmalyse mindestens halbieren", so Hanke. Außerdem sei das Wasser nach dem Prozess so sauber, dass es in den natürlichen Kreislauf zurückkönne.
In Berlin steht seit 2018 eine Pilotanlage, in der die Plasmalyse industriell erprobt wird. Hier können Fahrzeuge auch schon tanken – allerdings keinen Wasserstoff: "Der Wasserstoffmarkt ist immer noch in der Entwicklung, deswegen konzentrieren wir uns auch auf Verbrenner und Blockheizkraftwerke", erklärt Hanke. "Wir verwenden dafür E-Gas, einen synthetischen Kraftstoff aus 70 Prozent Methan und 30 Prozent Wasserstoff." Moderne Erdgasfahrzeuge können das Gemisch ohne Umrüstung tanken.
Die Kunden
Mit den Berliner Wasserbetrieben plant Graforce eine weitere Pilotanlage in einem Klärwerk. Ein Teil des dort erzeugten Wasserstoffs soll als E-Gas für die Betankung der eigenen Fahrzeugflotte verwendet werden. Der Rest soll in Berlin Abnehmer finden. Ein Interessent ist die Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft, die gerade das weltweit erste emissionsfreie Schubboot mit Brennstoffzellen baut.
Auch Audi ist an der Plasmalyse interessiert: Der Autobauer stellt im niedersächsischen Werlte synthetische Kraftstoffe her. Dabei fällt in einer Biogasanlage Abwasser an, das bisher als Dünger in der Landwirtschaft verwendet wird. Wegen einer EU-Verordnung müsste es in Zukunft aber teuer gereinigt oder entsorgt werden. "Wir planen, eine Anlage auf dem Gelände zu platzieren, mit der wir das Gärrestwasser reinigen und auch gleich eine weitere Wasserstoffquelle anbieten", so Hanke. Außerdem teste man das eigene E-Gas in Erdgasfahrzeugen von Audi.
Wenn man nach Asien schaut, weiß man: Die Wasserstoffwirtschaft wird kommen - und zwar schon in relativ absehbarer Zeit
Die Vision
In Deutschland tut sich gerade einiges in puncto Wasserstoffwirtschaft: Im Sommer 2019 sind die "Reallabore Energiewende" gestartet, die vom Bund gefördert Wasserstofftechnologie im industriellen Maßstab erproben sollen. "Aber solche Entwicklungen brauchen immer Zeit, und ein junges Technologieunternehmen kann nicht fünf Jahre warten, bis eine Änderung kommt", so Hanke. Deswegen richtet er seinen Blick auch ins Ausland: "In Deutschland dreht sich viel um die E-Mobilität. In anderen Ländern wie Korea oder China gibt es eher gesamtheitliche Bestrebungen. Da gibt es die Möglichkeit, Verbrennungsmotoren direkt mit Wasserstoff zu betanken, große Anlagen werden in Klärwerken gleich mit Brennstoffzellentechnik ausgestattet." Hanke will mit Graforce an diesen Entwicklungen mitwirken und von ihnen profitieren: "Wenn man nach Asien schaut, weiß man: Die Wasserstoffwirtschaft wird kommen – und zwar schon in relativ absehbarer Zeit."
Text: Roman Scherer