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Wasserstoff statt Kohle: Wie wird Stahl grün?

In der Stahl- und Eisenproduktion könnten grüner Wasserstoff und elektrifizierte Prozesse die klassischen Kohlehochöfen überflüssig machen – und eine klima­neutrale Stahlproduktion ermöglichen
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© Foto: shutterstock

Gut 20 Prozent des Treibhausgasausstoßes in Deutschland gehen auf Kosten der Industrie – das sind immerhin knapp 200 Millionen Tonnen CO₂-Äqui­va­lente pro Jahr. Größter einzelner Verursacher in diesem Sektor ist die energieintensive Stahl- und Eisenbranche. Denn die traditionelle Stahlproduktion setzt auf Hochöfen, die mit Kohle betrieben werden und erhebliche Mengen CO₂ verursachen. 

Das weiß auch Branchenriese Thyssenkrupp. Das Unternehmen ist laut eigenen Angaben weltweit bis dato das einzige, das zwei CO₂-reduzierende Maßnahmen an ­einem Standort anwendet. Zum einen setzt der Stahlproduzent in Duisburg in einer ­Versuchsanlage die neue Carbon2Chem-Technologie ein. Die vor Ort entstehenden Hüttengase inklusive CO₂ werden dabei direkt zu neuen Rohstoffen, Basischemikalien, weiterverarbeitet. 

Erfolgreiches Pilotprojekt

Zum anderen möchte Thyssenkrupp bereits in der Produktionsphase weniger schädliche Treibhausgase ausstoßen. Dazu will das Unternehmen im bestehenden Hochofenprozess die traditionelle Einblaskohle durch Wasserstoff als Reduktionsmittel ersetzen. Ein Pilotprojekt, das von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen im Rahmen des Programms "IN4climate.NRW" gefördert wird, ist bereits erfolgreich gestartet. Nach Auswertung aller Tests wird voraussichtlich schon 2020 ein erster Hochofen vollständig umgerüstet. "Theoretisch ist so ein Einsparpotenzial von rund 20 Prozent CO₂ an dieser Stelle des Produktionsprozesses möglich", erklärt Dr. Arnd Köfler. Dem Produktionsvorstand von Thyssenkrupp Steel Europe ist auch ­bewusst, dass dies nur der erste Schritt ist: "Unser Ziel ist eine nahezu CO₂-neutrale Stahlerzeugung."

Dies geht nach heutigem Stand der Wissenschaft über die vollständige Elektrifizierung der – verfahrenstechnisch bedingt – energieintensiven Produktion. Sprich: die komplette Abschaffung der mit fossilen Energieträgern betriebenen Hochöfen.


Hochofen


Schlüsseltechnologie Wasserstoff

Im Zentrum solcher Überlegungen steht stets Wasserstoff. Der mittels Elektrolyse hergestellte Energieträger ist vollkommen CO₂-frei, wenn er mithilfe erneuerbarer Energien erzeugt wird. "Seine Merkmale machen Wasserstoff zur idealen Basis für die Dekarbonisierung der industriellen Stahlproduktion", sagt Marten Bunnemann, CEO der Avacon AG. Das Unternehmen, das zu den größten regionalen Strom- und Gasnetzbetreibern in Deutschland zählt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Know-how im Umgang mit Wasserstoff aufzubauen. "In unserem Fokus steht die Weiterentwicklung der Gasnetzinfrastruktur für die Wasserstoffnutzung sowie die Errichtung und der Betrieb von sogenannten Power-to-Gas-Anlagen." Mithilfe dieser Anlagen kann Strom aus Erneuerbaren Energien in Wasserstoff umgewandelt und dann über längere Zeiträume konserviert werden. Sie sind zudem mit dem deutschen Gasnetz verbunden, das sich als riesiger Energiespeicher anbietet.

Grüner Stahl

In der Stahlproduktion lassen sich mit dem grünen Wasserstoff sogenannte Direkt­reduktionsanlagen betreiben. Hier entsteht kein flüssiges Roheisen mehr, sondern ein fester Eisenschwamm, der in einem sogenannten Elektrolichtbogenofen zu Rohstahl veredelt wird. Die Direktreduktion von Eisenerz ist keineswegs Neuland: Auf reiner ­Erdgasbasis wird die Technik bereits seit Längerem angewendet – insbesondere in ­­Län­dern, in denen Erdgas ausreichend und günstig zur Verfügung steht. Auf diese Weise wird zwar weniger CO₂ als im tra­ditionellen Hochofenprozess mit Kohle ­freigesetzt, klimaneutral ist der Stahl ­jedoch noch nicht.

An dieser Stelle setzt das Projekt Salzgitter Low CO₂ Steelmaking der Salzgitter AG an. Geplant ist, einen möglichst großen Anteil der eingesetzten fossilen Energieträger durch grünen Wasserstoff zu ersetzen. "Neu ist hierbei vor allem, dass wir zu Beginn Wasserstoff und Erdgas in flexiblen Anteilen nutzen und diese Innovation in ein bestehendes Hüttenwerk bei laufendem Betrieb integrieren", sagt Projektleiter Dr. Volker Hille. "Am Ende ist unser Ziel die rein wasserstoffbasierte Direktreduktion."

Eigene Wasserstoffproduktion

Auch bei der Stahlveredelung nutzt die Salzgitter AG Wasserstoff. Den will das Unternehmen aber zukünftig nicht mehr nur dazukaufen. Daher hat die Salzgitter Flachstahl GmbH bereits 2018 zusammen mit der Linde AG und einer Avacon-Tochter das Projekt WindH2 ins Leben gerufen. Geplant ist, auf dem Betriebsgelände sieben Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 30 Megawatt zu errichten. Mithilfe eines sogenannten PEM-Elektrolyseurs will der Konzern dann ab 2020 selbst Windstrom-Wasserstoff produzieren.

Außerdem arbeitet der Stahlproduzent daran, das größte Manko von Wasserstoff als Energielieferant zu beheben: Bislang geht bei der Produktion von grünem Gas rund ein Drittel der ursprünglichen Energie verloren. Zusammen mit weiteren Partnern aus fünf EU-Ländern hat die Salzgitter AG daher das Forschungsprojekt "Green Industrial Hydrogen" (GrInHy) initiiert. Hierbei wurde eine Hochtemperaturelektrolyse zur Wasserstoffproduktion getestet. Das Verfahren nutzt bei einer Temperatur von etwa 150 Grad Celsius Wasserdampf, der mittels Abwärme erzeugt wird – quasi als Nebenprodukt aus der Stahlproduktion. Die Einbindung der Abwärme sorgt für einen signifikant höheren elektrischen Wirkungsgrad als bei herkömmlichen Technologien. Die Versuchsanlage ist bereits seit Oktober 2017 auf dem Hüttengelände erfolgreich in Betrieb. Mittlerweile laufen die Vorbereitungen für das Nachfolgeprojekt GrInHy2.0, das den Wirkungsgrad weiter erhöhen und die Elektrolyseleistung von 150 auf 750 Kilowatt elektrisch steigern soll.


Wasserstoff


Vorreiter Schweden

Einen Schritt weiter in der grünen Stahlproduktion – allerdings unter gänzlich anderen Rahmenbedingungen – ist man in Schweden. Hier haben der Stahlkonzern SSAB, die Bergwerks­gesellschaft LKAB und das Energieunternehmen Vattenfall 2016 das Gemeinschaftsprojekt HYBRIT (Hydrogen Breakthrough Ironmaking Technology) gegründet. Bereits 2020 wird die erste Pilotanlage fertiggestellt sein. Ab 2023 startet die Produktion, die bis Anfang der 2040er-­Jahre vollständig umgestellt sein soll. Insgesamt könnten so knapp elf Prozent des schwedischen und rund sieben ­Prozent des finnischen CO₂-Ausstoßes eingespart werden. 

Hohe Hürden

"Technisch gesehen könnten wir in Salzgitter sofort loslegen, in einer ersten Phase bis 2025 bis zu 26 Prozent CO₂ einsparen und bis 2050 die Klimavorgaben mit 95 Prozent weniger CO₂ spielend erfüllen", so Projektleiter Dr. Volker Hille von der Salzgitter AG. Woran hapert  es also? Zum einen steht die benötigte Menge Wasserstoff auf dem Markt noch nicht zur Verfügung. Für die vollständige Dekarbonisierung ihrer Produktion bräuchte allein die Salzgitter AG Elektrolyseure mit einer Leistung von knapp 1.700 Megawatt – bei einer Leistung von drei Megawatt pro moderner Windanlage kein Pappenstiel. 

Zum anderen ist grüner Stahl schlicht noch zu kostspielig. "Die Herstellung von grünem Wasserstoff benötigt viel Strom aus erneuerbaren Quellen, der in Deutschland auch aufgrund des EEG-Umlagesystems sehr teuer ist", sagt Hille. Ein weiteres Problem seien die derzeitigen Markt- und Wettbewerbsbedingungen: "Wir können nicht wirtschaftlich klimaneu­tral produzieren, wenn unsere weltweiten Wettbewerber keine vergleichbaren kostenintensiven Auflagen erfüllen müssen." Hier sei nun die Politik gefragt.

Gerade zu Beginn einer neuen technologischen Entwicklung ist Unterstützung durch den Staat notwendig

Zudem verlange die Umstellung technischer Prozesse in dieser Größenordnung sehr hohe Investitionen, ergänzt Oliver Weinmann, Geschäftsführer der Vattenfall Innovation GmbH. "Unsere ­Erfahrungen in Schweden zeigen, dass gerade zu Beginn einer neuen technologischen Entwicklung Unterstützung seitens des Staates notwendig ist." Man könne zum Beispiel Elektrolyseure, die erneuerbaren Strom nutzen, von Letztverbraucherabgaben befreien und Markteinführungsprogram­me starten, die die Nachfrage nach grünem Wasserstoff erhöhen. Dann, so Weinmann, böte die fossilfreie Stahlproduktion auch für die Energieunternehmen in Deutschland "enormes Potenzial". 

Text: Henning Bartels


 

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