Der Wasserstoffmobilität wird großes Potenzial zugeschrieben – doch im Vergleich zum akkubetriebenen Elektromobil sind bisher fast keine Brennstoffzellenfahrzeuge auf der Straße. Kommt der Durchbruch noch?
Herr Prof. Dr. Sattler, welche Rolle spielt Wasserstoff im Energiemix der Zukunft?
— Eine ganz wichtige. Denn er ist per se in unbegrenzten Mengen auf der Erde verfügbar und durch den Einsatz von Erneuerbaren Energien unendlich umwandelbar. Damit kann er einen wesentlichen Beitrag zur Stromerzeugung leisten. Wir können ihn für mobile Anwendungen ebenso wie als Grundstoff für Industrieverfahren einsetzen. Nicht zuletzt lässt sich mit Wasserstoff die Energie der Erneuerbaren speichern, transportieren und nach Gusto nutzen: für die Erzeugung von Strom und Wärme, aber auch die Herstellung von Chemikalien bis hin zu Future Fuels.
Nehmen wir die Mobilität in den Blick. Wo sehen Sie Wasserstoff am ehesten? Autos? Lkw? Busse? Schiffe?
— Im Prinzip bei allen diesen Anwendungen. Fangen wir mal mit den Bussen an: Es fahren hierzulande vor allem deshalb so wenig Brennstoffzellenbusse durch die Gegend, weil der europäische Markt schlicht leergekauft ist. Köln und Wuppertal haben im Februar zusammen 40 Busse beim niederländischen Hersteller Van Hool bestellt, die erst im Frühjahr 2019 ausgeliefert werden. In China sieht das deutlich anders aus, dort werden bereits 6.000 Busse pro Jahr produziert. Ein weiteres Riesenpotenzial hat der Schienenverkehr: Über 40 Prozent des deutschen Schienennetzes sind nicht elektrifiziert. Und im Bereich Lkw sehe ich ebenfalls große Chancen, denn hier sind ein hohes Drehmoment und große Reichweiten gefordert: ideal für die Brennstoffzelle, schwieriger für den Akku. Bei Schiffen sieht es ebenso aus: Shell und Kawasaki haben ein Joint Venture namens "Hydrogen Road" begonnen, das unter anderem große Tanker mit Wasserstoffantrieb entwickelt.
Und der Individualverkehr?
— Für manche Einsatzszenarien sind Batterieautos ausgezeichnet. Doch das Brennstoffzellenauto hat sehr viel mehr gemein mit unserer Erfahrung von Individualmobilität. Gerade für diejenigen, die keine Ladestation besitzen und größere Distanzen zurücklegen müssen, ist der Wasserstoff weitaus einfacher handhabbar. Das betrifft auch Pendler mit größeren Distanzen oder Menschen auf dem Land.
Es scheint, als hinke die deutsche Autoindustrie ziemlich hinterher.
— Das stimmt nicht ganz. Daimler-Benz, VW, Audi und BMW sind schon seit 15 bis 20 Jahren dabei. Dass trotzdem bisher so wenig deutsche Fahrzeuge herumfahren, liegt an der klassischen deutschen Vorgehensweise – am Wunsch, technisch ausgereifte Produkte auf den Markt zu bringen. Das dauert seine Zeit: Sie wollen ja nicht die Experimentierphase auf die Käufer abwälzen.
Wann geht es denn nun richtig los?
— Ich glaube, wir befinden uns auf der Startrampe. Japan plant 2020 die Wasserstoffolympiade: Die Regierung fördert den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft im Olympischen Dorf und will 17.000 Sportler und andere Gäste in 22 Wohngebäuden per Wasserstoff mit Strom und Wärme versorgen.
Warum sind die Asiaten so weit vorne?
— Spätestens seit Fukushima ist die Kernenergie dort keine Zukunftsoption mehr – und Japan hat keine Bodenschätze. Da ist der Veränderungsdruck hoch. Wussten Sie, dass die großen japanischen Handelsunternehmen schon jetzt weltweit unterwegs sind, um Wasserstoff einzukaufen?
Wo stehen Deutschland und Europa?
— Europa hat Anfang der 2000er überlegt, was Wasserstoff und Brennstoffzellen zur zukünftigen Versorgung beitragen können. Und 2007 die Entscheidung getroffen, dass das industriegetrieben vorangebracht werden soll: Die "Fuel Cells Hydrogen Joint Undertaking" wurde eingerichtet, eine Public-private-Partnership, gemeinsam mit Forschungsgesellschaften und der Europäischen Kommission. Shell investiert in Wesseling bei Köln 20 Millionen Euro in einen 10-Megawatt-Elektrolyseur. Wir haben das deutsche Wasserstoffprogramm NOW. Man kann guten Gewissens sagen: Wir stehen gut da.
Interview: Jochen Reinecke
Prof. Dr. Christian Sattler leitet seit 2011 die Abteilung für Solare Verfahrenstechnik beim DLR-Institut für Solarforschung in Köln, davor leitete er das Fachgebiet für Solare Stoffumwandlung. Im November 2015 wurde er außerdem als Pro-
fessor für Solare Brennstofferzeugung an die TU Dresden berufen.