Was bedeutet die Blockchain für die Energiewende?
PROF. DR. JENS STRÜKER: Die Energiewende in Deutschland verläuft aktuell weitgehend analog. Ich glaube, dass die Blockchain-Technologie zu einer Art Speerspitze der Digitalisierung werden kann. Bei Versorgern, die mit der Blockchain-Technologie bereits Pilotprojekte durchführen, verleiht sie internen Digitalisierungsinitiativen einen dringend notwendigen Schub.
Sind deutsche Energieversorger experimentierfreudig genug?
PROF STRÜKER: Ich sehe sehr viele gute Pilotprojekte. Und es gibt die Energieversorger, die die Entwicklung in Organisationen wie der Energy Web Foundation aktiv mitgestalten. Das ist wichtig, um die Blockchain-Technologie gezielt weiterentwickeln zu können und Regulierungsbedarf und Hürden zu identifizieren. Reif wird die Technologie erst sein, wenn sie mit existierenden IT-Systemen zusammenarbeiten kann und bestehende wie neue Business-Logiken auf ihr abbildbar sind. Kritisch ist allerdings der drohende Mangel an qualifizierten Mitarbeitern. Kleine und große Energieversorger können nicht auf Universitätsabsolventen mit Blockchain-Know-how warten, sondern müssen ihre Mitarbeiter jetzt weiterbilden. Erste berufsbegleitende Online-Angebote in Form von Microdegrees sind bereits auf dem Markt.
Was muss dafür von regulatorischer Seite aus passieren?
PROF STRÜKER: Ein Beispiel ist die Nutzung der Kommunikationseinheit eines digitalen Stromzählers. Diesen als Rechner in der Blockchain zu nutzen, ist nicht erlaubt. Immer mehr Geschäftsideen stoßen an solche Regulierungsgrenzen. Wir müssen auch das Bilanzkreismanagement überdenken: Wer sich im »Nachbarschaftshandel« (Peer-to-Peer) engagiert, sollte rechtlich nicht gleich als Energieversorger eingestuft werden. Auch bei der Regulierung der Blockchain selbst gilt es unbedingt, die Möglichkeit der finanziellen Teilhabe von Nutzern mittels Tokens an Netzwerken zu bewahren. Im Kern erhalten Nutzer durch Tokens, die Einheit einer Kryptowährung, einen finanziellen Anreiz, einen digitalen Dienst bereits zu nutzen, wenn dieser noch kaum verbreitet ist. Hierdurch entsteht ein mächtiges Gegenmodell zu den marktbeherrschenden Internetplattformen wie Twitter oder Facebook.
Was bedeutet das bezogen auf die Energiewirtschaft?
PROF STRÜKER: Diese Tokens können zum Beispiel für die Finanzierung von Infrastrukturkosten wie denen einer Solaranlage, einer Wärmepumpe oder einer Batterie genutzt werden. Mieterstrommodelle und Peer-to-Peer-Stromhandel sind Beispiele. Der Wert eines Tokens und damit des Netzwerks steigt mit dessen Nutzung. Man spricht in diesem Zusammenhang daher von »Usage-Tokens«. Bekannt geworden sind im letzten Jahr Initial Coin Offerings (ICOs) – der Vorabverkauf einer projektinternen Kryptowährung zur Finanzierung einer Idee. Viele dieser ICOs haben sich allerdings als Usage-Tokens getarnt: Eine Nutzungssteigerung des Netzwerks war nicht ersichtlich und wurde auch nicht ernsthaft angestrebt. Um Verbraucher zu schützen, müssen ICOs reguliert werden. Bei der Regulierung dürfen die wohlfahrtssteigernden Token-basierten Netzwerkeffekte nicht unterdrückt werden. Keine einfache Aufgabe.
Wie viel Zeit haben wir für die Klärung dieser Dinge?
PROF STRÜKER: Es gilt jetzt, kleine Pakete zu schnüren und zu priorisieren. Dafür brauchen wir einen Wettbewerb der Ideen: Im Koalitionsvertrag taucht häufig der Begriff „Reallabore“ auf, der schnell mit Leben gefüllt werden muss. Das Silicon Valley und China holen rasant auf. Die Venture-Capital-Unternehmen investieren wohlüberlegt in Start-ups. Das zieht weitere Entwickler an – und uns fehlt eine vergleichbare Venture-Capital-Kultur. Wir haben jetzt höchstens ein bis zwei Jahre Zeit, um die richtigen Weichen zu stellen. Ansonsten habe ich die Befürchtung, dass wir unser großes Potenzial verspielen.
Interview: Leonore Falk
Prof. Dr. Jens Strüker lehrt seit 2013 als Professor im Master-Studiengang Digitales Energiemanagement an der Hochschule Fresenius in Frankfurt. Der habilitierte Wirtschafts¬informa¬tiker und Ökonom ist Geschäftsführer des dortigen Instituts für Energiewirtschaft (INEWI). Gemeinsam mit seinem Team erforscht er die Herausforderungen der Energiewende und entwickelt zukunftsweisende Lösungen für den Umbau des Energiesystems.