Die EU hat eine Verschärfung der CO₂-Grenzen für Neuwagen nach 2021 beschlossen. Bis 2030 soll der Ausstoß um 37,5 Prozent sinken. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
MARIE-LUISE WOLFF — Wir
haben mehrfach gesagt, dass die Energiewirtschaft die 2020-Ziele beim
Klimaschutz voraussichtlich erreicht, aber der Verkehrssektor weit
hinterherhängt. Die 37,5 Prozent sind daher ein wichtiges Signal. Es ist
aber erstmal nur eine Zahl. Ich bin sehr gespannt, wie die
Autohersteller nun reagieren.
HENNING KAGERMANN — Die
Bundesregierung hatte aus meiner Sicht gute Gründe, sich für ein
niedrigeres Ziel einzusetzen. Die anderen Staaten in der EU haben andere
Voraussetzungen, weil die Automobilindustrie dort einen kleineren
Anteil an der Wertschöpfung hat und in der Regel andere und im
Durchschnitt kleinere Autos gebaut werden. Nun müssen wir diese
demokratische Entscheidung umsetzen. Für unsere Industrie wird es
dadurch nicht leichter.
Deutschland hat 2010 ausgerufen,
Leitmarkt bei der Elektromobilität werden zu wollen. Schaut man sich die
Zulassungszahlen für Elektroautos an, scheinen wir davon noch ein Stück
entfernt zu sein.
KAGERMANN — Bis auf das Ziel von
einer Million Elektroautos in Deutschland im Jahr 2020 haben wir alle
anderen Ziele erreicht. Schauen Sie auf die Marktanteile der deutschen
Hersteller bei den Elektroautos im Ausland, da liegen wir mit an der
Spitze. Wir haben heute die gesamte Wertschöpfungskette der
Elektromobilität im Land, mit Ausnahme der industriellen Serienfertigung
von Batteriezellen. Beim Leitmarkt sind wir international im
Mittelfeld, hatten aber 2017 mit 117 Prozent mehr E-Autos den stärksten
Zuwachs weltweit. Dazu kommt der Schnellladestandard CCS. Der ist auf
deutsche Initiative zustande gekommen und mittlerweile auch in den USA
akzeptiert.
Werden wir die eine Million E-Autos wie vorgesehen bis 2022 auf der Straße haben?
KAGERMANN —
Die Prognosen sagen das voraus. Natürlich sollte man immer etwas
vorsichtig sein, weil man das Verbraucherverhalten nicht eins zu eins
voraussagen kann. Das haben wir schon bei der Kaufprämie gesehen, die
laut Modell eigentlich stärker hätte wirken müssen.
WOLFF —
Entscheidend ist doch, dass der Fisch erstmal schmecken muss, also die
Elektroautos so attraktiv werden, dass sie auch gekauft werden. Es
fehlen nach wie vor PKW-Modelle, die mit Verbrennungsmotoren
konkurrieren können. Wir hängen auch bei den Nutzfahrzeugen hinterher.
Gerade in dem Bereich gibt es aber riesige Potenziale. Alle
Energieversorger haben beispielsweise große Transporterflotten und
würden gern umsteigen, aber es gibt bisher keine leistungsfähigen
E-Transporter.
Was ist mit Angeboten wie dem Streetscooter?
WOLFF —
Der Streetscooter ist leider aktuell nicht geeignet, unsere teils
schweren Werkzeuge zu transportieren. Am Erfolg der E-Bikes sehen wir
aber, dass attraktive Angebote möglich sind, die von den Kunden
angenommen werden. Da müssen wir bei den E-Autos endlich auch hinkommen.
KAGERMANN —
Ich bin hier anderer Meinung. Wir sind heute schon das Land mit der
größten Modellpalette an E-Autos – China ausgenommen. Bis 2020 soll es
100 Modelle von deutschen Herstellern geben, Batterie- und
Plug-in-Modelle.
Den elektrischen Volksgolf, der nicht mehr kostet und gleich weit fährt, gibt es aber nach wie vor nicht.
KAGERMANN —
Das kann auch noch ein paar Jahre dauen. Bei den Kosten sind wir noch
nicht da, wo wir hinwollen, obwohl die Batteriepreise gesunken sind. Die
Autofahrer hätten gern weiterhin die Reichweite und die Kosten eines
Diesels, auch wenn sie das vielleicht oft gar nicht brauchen. Das ist
physikalisch nicht so schnell zu machen. Ich hoffe, dass wir bis 2025
eine Kostenparität von herkömmlichen und E-Fahrzeugen erreichen.
WOLFF —
Wir sind ein mobiles Volk. Nicht jeder kann sich zwei Autos leisten,
eines für längere Strecken und eines für die kurzen. Da fehlt in der Tat
noch das Elektroauto, das mit Diesel- und Benzinfahrzeugen mithalten
kann. Es gibt aber noch ein anderes Problem: 80 Prozent der Ladevorgänge
finden zu Hause statt. In der Stadt haben wir aber deutlich komplexere
Einbausituationen. In einem Mehrfamilienhaus ist es nicht so einfach,
eine Wallbox zu installieren. Bei mir zu Hause gibt es beispielsweise
eine Tiefgarage mit beweglichen Stellflächen. Da kann man keine Stecker
anbringen. Bei Wohnungseigentümergemeinschaften, WEG, bremst das Gesetz
die E-Mobilität derzeit aus. Man ist darauf angewiesen, dass alle
Parteien im Haus zustimmen, wenn man eine Lademöglichkeit installieren
will. Eine Reform ist erst 2021 vorgesehen, aus meiner Sicht viel zu
spät.
KAGERMANN — Das stimmt, wir sollten nicht nur auf
die Ziele schauen, sondern auch auf die Rahmenbedingungen. Das Thema WEG
haben wir in der Nationalen Plattform Elektromobilität auch adressiert.
Es ist aber nicht so leicht, weil es mit Eigentumsrechten kollidiert.
WOLFF —
Grundsätzlich könnten wir bei der Förderung von Elektroautos kreativer
werden. Andere Länder geben etwa Busspuren oder Parkplätze frei.
KAGERMANN —
Es gibt ja seit drei Jahren das Elektromobilitätsgesetz, das vieles,
was Sie sagen, ermöglicht. 95 Prozent der Kommunen setzen das aber noch
nicht um. Wir sollten diese Chance nutzen, um E-Mobilität vor Ort
attraktiver zu machen.
Quelle: Florian Büttner
Hilft bei diesen Themen die Arbeit in der neuen Plattform Zukunft der Mobilität, die ja einen breiteren Ansatz hat?
KAGERMANN —
Ja, auch weil wir nicht einfach über einen Antriebswechsel reden,
sondern darüber, wie wir zu mehr Klimaschutz kommen. Den CO₂-Ausstoß im
Verkehr haben Sie ja kritisiert, Frau Wolff. Fairerweise muss man aber
sagen, dass der Verkehr stark zugenommen hat. Effizienzsteigerungen
wurden dadurch wieder aufgefressen.
WOLFF — Natürlich hat
der Verkehr aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung zugenommen. Und
Sie haben recht, es kommt der Zeitpunkt, an dem wir uns etwas einfallen
lassen müssen, damit es weniger Individualverkehr gibt. Dafür muss der
ÖPNV ausgebaut werden. Zudem brauchen wir sehr intelligente
übergreifende Mobilitätskonzepte und Carsharing-Angebote.
Noch mal zum Thema Ladesäulen: Wo stehen wir da eigentlich?
WOLFF —
Auf jede Ladesäule kommen heute im Durchschnitt nur vier Elektroautos.
Insofern rechnen sich die meisten vorhandenen Säulen nicht. Die
Energiewirtschaft ist bereit, weiter zu investieren. Dafür brauchen wir
belastbare Angaben, wo etwa Schnellladesäulen gebraucht werden, die noch
komplexer im Aufbau sind. Insgesamt können wir nicht einfach ins Blaue
hinein bauen, dafür sind die Investitionen zu hoch.
Klingt da Enttäuschung heraus? Immerhin haben die Energieversorger seit 2010 viele Ladepunkte gebaut.
WOLFF — Enttäuschung würde ich nicht sagen. Wir sind als Energiebranche vorangegangen, jetzt müssen die Autohersteller nachziehen.
KAGERMANN — 2010
haben viele – auch die EU – gesagt: Wir brauchen erst die Ladesäulen,
dann kommen die Autos. Später sind wir auf den Pfad des bedarfsgerechten
Ausbaus umgeschwenkt. Das war richtig, weil sich die Technik
weiterentwickelt hat. Wir hätten jetzt viel mehr Säulen, die nicht mehr
die Normen erfüllen und die wir eigentlich aufrüsten oder abbauen
müssten.
WOLFF — Manchmal gehört mehr dazu, als einfach
Ladesäulen zu bauen. Am Beispiel eines Kollegen kann ich vielleicht die
Komplexität veranschaulichen: In seiner Stadt sollen demnächst mehr als
zweihundert Elektrobusse fahren. Er muss dafür ein neues Umspannwerk in
die Stadt bauen, weil die Netze für das Laden der vielen Busse nicht
ausgelegt sind. An Raststätten gibt es ähnliche Herausforderungen, da
liegt oft kein Kabel, um mal eben eine oder mehrere
400-Kilowatt-Stationen anzuschließen. Das ist alles machbar, aber es
erfordert mehr Mittel als für den Kauf von E-Fahrzeugen.
Braucht es mehr finanzielle Förderung?
WOLFF —
Nein, die Programme sind zur Zeit insgesamt ausreichend. Aber eine
Umschichtung der Fördermittel in Richtung Ladeinfrastruktur könnte Sinn
ergeben, wenn die Mittel für Elektroautos weiterhin so langsam
abfließen.
Förderprogramme, Prämien für Käufer und andere
Vorteile: Wäre statt der Einzelmaßnahmen ein einheitlicher und
sektorübergreifender CO₂-Preis nicht wirkungsvoller?
WOLFF — Als
BDEW sind wir grundsätzlich klar dafür. Wer mehr CO₂ ausstößt, muss
auch mehr zahlen, etwa durch eine Anhebung der Kosten für fossile
Brennstoffe. Außerdem sollte die Stromsteuer gesenkt werden, damit
regenerativ erzeugter Strom attraktiver für den Mobilitäts- und
Wärmesektor wird.
In Frankreich hat das Vorhaben, die Spritpreise zu erhöhen, zuletzt große Proteste ausgelöst.
WOLFF —
Man müsste eine solche Maßnahme in jedem Fall sozial flankieren. Meines
Wissens war das in Frankreich so nicht vorgesehen. Und die
Steuererhöhung war ganz erheblich.
KAGERMANN — Da stimme
ich zu. In der NPM werden wir die soziale Dimension neben der
ökologischen und der wirtschaftlichen auf jeden Fall immer mitdenken.
Als Plattform haben wir noch keine Position zur CO₂-Bepreisung. Aber
persönlich kann ich eine Einschätzung geben: Aktuell ist der gefahrene
Kilometer mit Strom deutlich teurer als mit Diesel. Das kann nicht sein,
weil wir mehr E-Autos wollen. Ein CO₂-Preis wäre also ein logischer
Schritt und würde zudem dafür sorgen, dass wir nicht mehr über viele
verschiedene Fördermöglichkeiten nachdenken müssen. Politisch scheint
das aber schwer durchsetzbar. Insofern rechne ich nicht damit, dass wir
in absehbarer Zeit eine CO₂-Bepreisung bekommen. Wir werden wohl ein
Bündel verschiedener Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele
benötigen.
Der Fokus der Bundesregierung lag bisher auf der Batteriemobilität. Ist dieser Ansatz richtig?
KAGERMANN —
Die Bundesregierung hat Wasserstoff über die NOW gefördert, vielleicht
nicht so sichtbar. In der NPM schauen wir aber auf alle Antriebsarten.
Batterieantriebe sind mit 70 Prozent Wirkungsgrad immer noch am
effizientesten, passen aber nicht zu allen Anwendungen. Bei Wasserstoff
sinkt der Wirkungsgrad um die Hälfte, dafür lässt er sich langfristig
speichern und Sie können Brennstoffzellen zum Beispiel in Lkw einsetzen.
E-Fuels sind für die Hersteller wiederum sehr interessant, weil sich am
Antrieb nichts ändern müsste. Der Wirkungsgrad liegt aber nur bei 13
Prozent. Zudem haben wir in Deutschland nicht genügend Flächen, um den
Strom aus Erneuerbaren für die Produktion zu erzeugen. Letztendlich
werden wir wahrscheinlich einen Mix sehen, den wir so gestalten müssen,
dass er klimafreundlich ist, aber nicht zu teuer.
Welche Rolle spielt Erdgas als Kraftstoff?
WOLFF —
Wir müssen uns technologieoffen verhalten. E-Mobilität wird eine
wichtige Rolle spielen, aber ob es die einzige Antriebsart der Zukunft
sein wird, ist offen. Erdgas kann bei der Verkehrswende eine sehr
wichtige Rolle spielen. LNG kann in Zukunft auch den Schwerlast- und den
Schiffsverkehr antreiben.
(...)
Text & Moderation / Christian Seelos und Karsten Wiedemann, energate, Redaktion Berlin
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