"Wir müssen uns technologieoffen verhalten"

Wie steht es um die Verkehrswende? Was ist nötig, damit auch in diesem Sektor die Emissionen sinken – welche Rolle spielt die Elektromobilität dabei? Dr. Marie-Luise Wolff, BDEW-Präsidentin und Vorstandsvorsitzende der ENTEGA AG, im Gespräch mit Prof. Dr. Henning Kagermann, Vorsitzender des Lenkungskreises der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität

Henning Kagermann und Marie-Luise Wolff und energate Redakteure

© Florian Büttner

Die EU hat eine Verschärfung der CO₂-Grenzen für Neuwagen nach 2021 beschlossen. Bis 2030 soll der Ausstoß um 37,5 Prozent sinken. Wie bewerten Sie diesen Schritt?

MARIE-LUISE WOLFF — Wir haben mehrfach gesagt, dass die Energiewirtschaft die 2020-Ziele beim Klimaschutz voraussichtlich erreicht, aber der Verkehrssektor weit hinterherhängt. Die 37,5 Prozent sind daher ein wichtiges Signal. Es ist aber erstmal nur eine Zahl. Ich bin sehr gespannt, wie die Autohersteller nun reagieren.

HENNING KAGERMANN — Die Bundesregierung hatte aus meiner Sicht gute Gründe, sich für ein niedrigeres Ziel einzusetzen. Die anderen Staaten in der EU haben andere Voraussetzungen, weil die Automobilindustrie dort einen kleineren Anteil an der Wertschöpfung hat und in der Regel andere und im Durchschnitt kleinere Autos gebaut werden. Nun müssen wir diese demokratische Entscheidung umsetzen. Für unsere Industrie wird es dadurch nicht leichter.

Deutschland hat 2010 ausgerufen, Leitmarkt bei der Elektromobilität werden zu wollen. Schaut man sich die Zulassungszahlen für Elektroautos an, scheinen wir davon noch ein Stück entfernt zu sein.

KAGERMANN —  Bis auf das Ziel von einer Million Elektroautos in Deutschland im Jahr 2020 haben wir alle anderen Ziele erreicht. Schauen Sie auf die Marktanteile der deutschen Hersteller bei den Elektroautos im Ausland, da liegen wir mit an der Spitze. Wir haben heute die gesamte Wertschöpfungskette der Elektromobilität im Land, mit Ausnahme der industriellen Serienfertigung von Batteriezellen. Beim Leitmarkt sind wir international im Mittelfeld, hatten aber 2017 mit 117 Prozent mehr E-Autos den stärksten Zuwachs weltweit. Dazu kommt der Schnellladestandard CCS. Der ist auf deutsche Initiative zustande gekommen und mittlerweile auch in den USA akzeptiert.

Werden wir die eine Million E-Autos wie vorgesehen bis 2022 auf der Straße haben?

KAGERMANN — Die Prognosen sagen das voraus. Natürlich sollte man immer etwas vorsichtig sein, weil man das Verbraucherverhalten nicht eins zu eins voraussagen kann. Das haben wir schon bei der Kaufprämie gesehen, die laut Modell eigentlich stärker hätte wirken müssen.

WOLFF — Entscheidend ist doch, dass der Fisch erstmal schmecken muss, also die Elektroautos so attraktiv werden, dass sie auch gekauft werden. Es fehlen nach wie vor PKW-Modelle, die mit Verbrennungsmotoren konkurrieren können. Wir hängen auch bei den Nutzfahrzeugen hinterher. Gerade in dem Bereich gibt es aber riesige Potenziale. Alle Energieversorger haben beispielsweise große Transporterflotten und würden gern umsteigen, aber es gibt bisher keine leistungsfähigen E-Transporter.

Was ist mit Angeboten wie dem Streetscooter?

WOLFF — Der Streetscooter ist leider aktuell nicht geeignet, unsere teils schweren Werkzeuge zu transportieren. Am Erfolg der E-Bikes sehen wir aber, dass attraktive Angebote möglich sind, die von den Kunden angenommen werden. Da müssen wir bei den E-Autos endlich auch hinkommen.

KAGERMANN — Ich bin hier anderer Meinung. Wir sind heute schon das Land mit der größten Modellpalette an E-Autos – China ausgenommen. Bis 2020 soll es 100 Modelle von deutschen Herstellern geben, Batterie- und Plug-in-Modelle.

Den elektrischen Volksgolf, der nicht mehr kostet und gleich weit fährt, gibt es aber nach wie vor nicht.

KAGERMANN — Das kann auch noch ein paar Jahre dauen. Bei den Kosten sind wir noch nicht da, wo wir hinwollen, obwohl die Batteriepreise gesunken sind. Die Autofahrer hätten gern weiterhin die Reichweite und die Kosten eines Diesels, auch wenn sie das vielleicht oft gar nicht brauchen. Das ist physikalisch nicht so schnell zu machen. Ich hoffe, dass wir bis 2025 eine Kostenparität von herkömmlichen und E-Fahrzeugen erreichen.

WOLFF — Wir sind ein mobiles Volk. Nicht jeder kann sich zwei Autos leisten, eines für längere Strecken und eines für die kurzen. Da fehlt in der Tat noch das Elektroauto, das mit Diesel- und Benzinfahrzeugen mithalten kann. Es gibt aber noch ein anderes Problem: 80 Prozent der Ladevorgänge finden zu Hause statt. In der Stadt haben wir aber deutlich komplexere Einbausituationen. In einem Mehrfamilienhaus ist es nicht so einfach, eine Wallbox zu installieren. Bei mir zu Hause gibt es beispielsweise eine Tiefgarage mit beweglichen Stellflächen. Da kann man keine Stecker anbringen. Bei Wohnungseigentümergemeinschaften, WEG, bremst das Gesetz die E-Mobilität derzeit aus. Man ist darauf angewiesen, dass alle Parteien im Haus zustimmen, wenn man eine Lademöglichkeit installieren will. Eine Reform ist erst 2021 vorgesehen, aus meiner Sicht viel zu spät.

KAGERMANN —
Das stimmt, wir sollten nicht nur auf die Ziele schauen, sondern auch auf die Rahmenbedingungen. Das Thema WEG haben wir in der Nationalen Plattform Elektromobilität auch adressiert. Es ist aber nicht so leicht, weil es mit Eigentumsrechten kollidiert.

WOLFF — Grundsätzlich könnten wir bei der Förderung von Elektroautos kreativer werden. Andere Länder geben etwa Busspuren oder Parkplätze frei.

KAGERMANN — Es gibt ja seit drei Jahren das Elektromobilitätsgesetz, das vieles, was Sie sagen, ermöglicht. 95 Prozent der Kommunen setzen das aber noch nicht um. Wir sollten diese Chance nutzen, um E-Mobilität vor Ort attraktiver zu machen.

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Quelle: Florian Büttner

Hilft bei diesen Themen die Arbeit in der neuen Plattform Zukunft der Mobilität, die ja einen breiteren Ansatz hat?

KAGERMANN — Ja, auch weil wir nicht einfach über einen Antriebswechsel reden, sondern darüber, wie wir zu mehr Klimaschutz kommen. Den CO₂-Ausstoß im Verkehr haben Sie ja kritisiert, Frau Wolff. Fairerweise muss man aber sagen, dass der Verkehr stark zugenommen hat. Effizienzsteigerungen wurden dadurch wieder aufgefressen.

WOLFF — Natürlich hat der Verkehr aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung zugenommen. Und Sie haben recht, es kommt der Zeitpunkt, an dem wir uns etwas einfallen lassen müssen, damit es weniger Individualverkehr gibt. Dafür muss der ÖPNV ausgebaut werden. Zudem brauchen wir sehr intelligente übergreifende Mobilitätskonzepte und Carsharing-Angebote.

Noch mal zum Thema Ladesäulen: Wo stehen wir da eigentlich?

WOLFF — Auf jede Ladesäule kommen heute im Durchschnitt nur vier Elektroautos. Insofern rechnen sich die meisten vorhandenen Säulen nicht. Die Energiewirtschaft ist bereit, weiter zu investieren. Dafür brauchen wir belastbare Angaben, wo etwa Schnellladesäulen gebraucht werden, die noch komplexer im Aufbau sind. Insgesamt können wir nicht einfach ins Blaue hinein bauen, dafür sind die Investitionen zu hoch.

Klingt da Enttäuschung heraus? Immerhin haben die Energieversorger seit 2010 viele Ladepunkte gebaut.

WOLFF — Enttäuschung würde ich nicht sagen. Wir sind als Energiebranche vorangegangen, jetzt müssen die Autohersteller nachziehen.

KAGERMANN — 2010 haben viele – auch die EU – gesagt: Wir brauchen erst die Ladesäulen, dann kommen die Autos. Später sind wir auf den Pfad des bedarfsgerechten Ausbaus umgeschwenkt. Das war richtig, weil sich die Technik weiterentwickelt hat. Wir hätten jetzt viel mehr Säulen, die nicht mehr die Normen erfüllen und die wir eigentlich aufrüsten oder abbauen müssten.

WOLFF — Manchmal gehört mehr dazu, als einfach Ladesäulen zu bauen. Am Beispiel eines Kollegen kann ich vielleicht die Komplexität veranschaulichen: In seiner Stadt sollen demnächst mehr als zweihundert Elektrobusse fahren. Er muss dafür ein neues Umspannwerk in die Stadt bauen, weil die Netze für das Laden der vielen Busse nicht ausgelegt sind. An Raststätten gibt es ähnliche Herausforderungen, da liegt oft kein Kabel, um mal eben eine oder mehrere 400-Kilowatt-Stationen anzuschließen. Das ist alles machbar, aber es erfordert mehr Mittel als für den Kauf von E-Fahrzeugen.

Braucht es mehr finanzielle Förderung?

WOLFF — Nein, die Programme sind zur Zeit insgesamt ausreichend. Aber eine Umschichtung der Fördermittel in Richtung Ladeinfrastruktur könnte Sinn ergeben, wenn die Mittel für Elektroautos weiterhin so langsam abfließen.

Förderprogramme, Prämien für Käufer und andere Vorteile: Wäre statt der Einzelmaßnahmen ein einheitlicher und sektorübergreifender CO₂-Preis nicht wirkungsvoller?


WOLFF — Als BDEW sind wir grundsätzlich klar dafür. Wer mehr CO₂ ausstößt, muss auch mehr zahlen, etwa durch eine Anhebung der Kosten für fossile Brennstoffe. Außerdem sollte die Stromsteuer gesenkt werden, damit regenerativ erzeugter Strom attraktiver für den Mobilitäts- und Wärmesektor wird.

In Frankreich hat das Vorhaben, die Spritpreise zu erhöhen, zuletzt große Proteste ausgelöst.

WOLFF —
Man müsste eine solche Maßnahme in jedem Fall sozial flankieren. Meines Wissens war das in Frankreich so nicht vorgesehen. Und die Steuererhöhung war ganz erheblich.

KAGERMANN — Da stimme ich zu. In der NPM werden wir die soziale Dimension neben der ökologischen und der wirtschaftlichen auf jeden Fall immer mitdenken. Als Plattform haben wir noch keine Position zur CO₂-Bepreisung. Aber persönlich kann ich eine Einschätzung geben: Aktuell ist der gefahrene Kilometer mit Strom deutlich teurer als mit Diesel. Das kann nicht sein, weil wir mehr E-Autos wollen. Ein CO₂-Preis wäre also ein logischer Schritt und würde zudem dafür sorgen, dass wir nicht mehr über viele verschiedene Fördermöglichkeiten nachdenken müssen. Politisch scheint das aber schwer durchsetzbar. Insofern rechne ich nicht damit, dass wir in absehbarer Zeit eine CO₂-Bepreisung bekommen. Wir werden wohl ein Bündel verschiedener Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele benötigen.

Der Fokus der Bundesregierung lag bisher auf der Batteriemobilität. Ist dieser Ansatz richtig?


KAGERMANN — Die Bundesregierung hat Wasserstoff über die NOW gefördert, vielleicht nicht so sichtbar. In der NPM schauen wir aber auf alle Antriebsarten. Batterieantriebe sind mit 70 Prozent Wirkungsgrad immer noch am effizientesten, passen aber nicht zu allen Anwendungen. Bei Wasserstoff sinkt der Wirkungsgrad um die Hälfte, dafür lässt er sich langfristig speichern und Sie können Brennstoffzellen zum Beispiel in Lkw einsetzen. E-Fuels sind für die Hersteller wiederum sehr interessant, weil sich am Antrieb nichts ändern müsste. Der Wirkungsgrad liegt aber nur bei 13 Prozent. Zudem haben wir in Deutschland nicht genügend Flächen, um den Strom aus Erneuerbaren für die Produktion zu erzeugen. Letztendlich werden wir wahrscheinlich einen Mix sehen, den wir so gestalten müssen, dass er klimafreundlich ist, aber nicht zu teuer.

Welche Rolle spielt Erdgas als Kraftstoff?

WOLFF — Wir müssen uns technologieoffen verhalten. E-Mobilität wird eine wichtige Rolle spielen, aber ob es die einzige Antriebsart der Zukunft sein wird, ist offen. Erdgas kann bei der Verkehrswende eine sehr wichtige Rolle spielen. LNG kann in Zukunft auch den Schwerlast- und den Schiffsverkehr antreiben. 

(...)

Text & Moderation / Christian Seelos und Karsten Wiedemann, energate, Redaktion Berlin

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